Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

Titel: 80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
Vom Netzwerk:
sich ein Röcheln, das der Wind in einem sturen Wirbel immer und immer wieder über das Deck trug, wie eine Warnung, doch im Handumdrehen war er wieder auf den Beinen und begann von neuem seinen Aufstieg in die Takelung. Hier waren Gesetze am Werk, die der Dozent niemals verstehen würde, wie alt er auch wurde und wie viele Bücher er auch las.
    „Kapitän!“, rief er. „Was für ein Schiff ist das da draußen?“
    „Mir ist verdammt gleichgültig, was für ein Schiff das da draußen ist“, antwortete Fokke. Und dann setzte er hinzu: „Es wäre mir nur recht, wenn wir ihm nicht zu nahe kommen würden. Aber … zur Hölle damit, warum sollte es uns heute gelingen? Es ist uns noch nie gelungen!“
    Wovor fürchtete sich der Kapitän? War es nicht vielmehr jenes Schiff dort draußen, das die Geisteryacht zu fürchten hatte?
    Tatsächlich lenkte die Libera Nos zusammen mit ihrem Verbündeten, dem Wind, ihre Fahrt in Richtung auf das fremde Schiff hin. Gleichzeitig gab die Besatzung ihr Bestes, um sich auf Distanz zu halten – ein sinnloses Unterfangen. Was entzweite die drei Kräfte, die eben noch so harmonisch zusammengearbeitet hatten?
    Sir Darren sah, dass es ein relativ kleines Schiff war, auf das sie zusteuerten. Ein Fischerboot wahrscheinlich. Inzwischen musste man dort auf die Libera Nos aufmerksam geworden sein, denn das Boot änderte seinen Kurs, um dem herannahenden Segler auszuweichen.
    „Sie sind zu langsam. Sie sind alle zu langsam, diese Bastarde.“ Der Brite erschrak, als er die brummige Stimme Fokkes gleich an seinem Ohr hörte. Er hatte nicht bemerkt, wie der Mann nähergekommen war. Offenbar hatte er es aufgeben, seiner Crew Befehle zu geben, die entweder nicht ankamen oder nichts nutzten.
    „Warum halten wir Kurs auf das Boot zu?“
    „Weil der Wind und das Schiff es so wollen. Nicht wir. Oh nein, nein, nicht wir.“
    Sir Darren sah ihn an und erkannte Schmerz in den blau glimmenden Augen. „Und warum will es das Schiff so?“
    „Weil das unser Fluch ist.“
    Sir Darren lag schon die nächste Frage auf der Zunge, doch er kam nicht mehr dazu, sie zu stellen. Jetzt, wo die Crew ihre Bemühungen eingestellt hatte, hatte das Schiff eine unbeschreibliche Geschwindigkeit erreicht. Es pflügte über die Meeresoberfläche, dass die Gischt zu beiden Seiten wegspritzte wie bei einem schnellen Motorboot. Es passte seinen Kurs dem des ausweichenden Bootes an. Dann jagte es so knapp daran vorbei, dass eine Welle das Fischerboot erfasste und beinahe umwarf. An Bord des kleinen Wasserfahrzeugs war längst eine Panik ausgebrochen. Es schnürte Sir Darren die Kehle zu, als er von dem vorübergleitenden Schiff aus Zeuge wurde, wie mehrere der Fischer aus Furcht vor der Erscheinung ins Wasser sprangen. Andere standen wie versteinert an Deck des schaukelnden Gefährts und zeigten hinaus – herüber zu ihnen. Als sie ganz nahe waren, konnte er sogar ihre entsetzten Gesichter sehen.
    Sie litten Todesangst.
    Und einen Moment später begriff Sir Darren, dass diese Angst begründet war.
    Aufs Neue änderte die Libera Nos ihren Kurs. Blitzschnell ging es, und es war ein Wunder, dass bei diesen Manövern sie, die Besatzung des Geisterschiffes, nicht über Bord geworfen wurden.
    Nein, Wunder war vielleicht nicht der richtige Ausdruck.
    Einen Fluch nannte man so etwas.
    Es schien, als spiele das Schiff mit dem kleinen Boot. Das Schiff oder der Wind. Das Steuerrad drehte sich so schnell hin und her, dass die Augen der Bewegung nicht mehr folgen konnten, und die Besegelung änderte sich wie in einer wilden Zeitrafferaufnahme. Waren sie eben noch an dem Boot vorübergerauscht, hatten sie jetzt bereits wieder seine Verfolgung aufgenommen. Das Boot kam kaum vom Fleck. Sir Darren konnte sich vorstellen, in welchem Dilemma seine Besatzung sich befinden musste. Versuchten sie vor dem attackierenden Geisterschiff zu fliehen, mussten sie die Männer zurücklassen, die ins Meer gesprungen waren. Nahmen sie sich die Zeit, sie aus dem Wasser zu ziehen, verzögerte sich ihre Flucht.
    Wer immer auf dem Boot das Kommando hatte, er musste mutig beschlossen haben, zunächst die über Bord gegangenen Menschen einzusammeln. Er war nicht bereit, jemanden zurückzulassen. Damit unterschrieb er ihr aller Todesurteil …
    Wie ein grauer Racheengel kam die Libera Nos über das Fischerboot, ihre aufgeblähten Segel wie Flügel, eher fliegend denn segelnd, den Kontakt zum Wasser fast vollständig verlierend.
    Sir Darren sah das Boot

Weitere Kostenlose Bücher