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80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

Titel: 80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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niedrig dahinziehenden Wolken. In einem tornadoähnlichen Wirbel verschwanden sie in einem mehrere Meilen durchmessenden, rotierenden Loch im Meer.
    Der Mahlstrom!
    Ihr Schiff hielt darauf zu, und nun war klar, dass die Strömung, die sie gezogen hatte, nichts als ein verlängerter Arm dieses monströsen Strudels gewesen war. Sir Darren sah der Fortsetzung seiner Reise mit Faszination entgegen. Er war ganz und gar gespannte Aufmerksamkeit, als das Schiff in den Wirbel einschwenkte und kreisend in die Tiefe gezogen wurde.
    Unbeschreibliche Minuten waren es, größer als alles, was Menschen sonst erleben konnten.
    Am Rande der Glücksseligkeit ließ sich Sir Darren von dem Mahlstrom verspeisen, hielt dabei die Augen offen und die Sinne geschärft.
    Doch es gab keinen Tunnel zwischen dem Südpol und dem Nordpol.
    Nur Meer.
    Das Schiff wurde unter Wasser gedrückt, herumgewirbelt, er verlor den Halt und wurde weggerissen in ein rauschendes nasses Grab. Er griff in die Stofftasche hinein, die sich nun anfühlte wie zwei aneinander klebende Blätter Seetang. Er nahm die Flasche heraus. Sie wurde in dem Moment vom Strudel weggerissen, als er seinen Griff lockerte.
    Das Glücksgefühl verschwand immer mehr, und es schlug in Angst um, als er in den finsteren Fluten etwas wahrnahm.
    Zuerst hielt er es für den Teil eines Schiffswracks. Ein Stück Balken vielleicht, an dem ein Fetzen Segel hing.
    Doch dann sah er, dass es lebte, und Sir Darren fühlte sich, wie Luzifer sich gefühlt haben musste, als er aus dem Himmel in die Hölle stürzte.
    Wenige Meter vor ihm schwamm das Wesen, das er an Bord der Libera Nos gesehen hatte.
    Auch jetzt spiegelte sich seine Angst in den Augen des Ungeheuers.
    Offenbar war es ihm durch den Sturm gefolgt, verborgen unter der dunklen Meeresoberfläche. Neun Faden tief …

    ENDE DER EPISODE

    - - - - - - -

Bonus-Story -

Ein Manuskript, gefunden in einer Flasche
    von Edgar Allan Poe
    (aus dem Amerikanischen von Martin Clauß)

1
    Qui n’a plus qu’un moment à vivre,
    n’a plus rien a dissimuler.
    Quinault – Atys

    Über mein Land und meine Familie habe ich wenig zu erzählen. Schmähung und die langen Jahre haben mich aus dem einen vertrieben und der anderen entfremdet. Ein ererbtes Vermögen erlaubte mir eine Ausbildung von außergewöhnlichem Rang, und ein nachdenklicher Charakterzug ermöglichte es mir, die Wissensschätze, die mein frühes Studium unermüdlich ansammelte, zu systematisieren.
    Mehr Vergnügen als alles andere brachte mir das Studium der deutschen Moralphilosophen; nicht, weil ich etwa den Irrtum begangen hätte, ihren wortgewandten Wahnsinn zu bewundern, sondern weil meine strengen Denkgewohnheiten ihre Fehler mit Leichtigkeit entlarvten. Man hat mir oft zum Vorwurf gemacht, mein Geist sei zu trocken, und ich bin berüchtigt für mein Prinzip, zu Punkten, die dem Menschen undurchschaubar bleiben, kein Urteil abzugeben. Eine starke Vorliebe für die Physik hat, wie ich fürchte, mein Denken auf eine Weise durchsetzt, wie es heutzutage nicht unüblich ist – ich spreche von der Angewohnheit, auch Phänomene mit den Prinzipien dieser Wissenschaft zu verknüpfen, die sich am wenigsten damit in Verbindung bringen lassen. Kurz, niemandem läge es ferner als mir, sich von den Irrlichtern des Aberglaubens aus den ehrlichen Gefilden der Wahrheit locken zu lassen. Mir schien es angemessen, dies vorwegzuschicken, aus Furcht, die unglaubliche Geschichte, die ich zu erzählen habe, könnte für das Geschwätz eines wirren Phantasten gehalten werden und nicht für ein wahrhaftiges Erlebnis, mit dem Träume und Einbildung nicht im Entferntesten etwas zu tun haben.
    Nach vielen Jahren, die ich mit Reisen im Ausland verbrachte, segelte ich im Jahr 18— vom Hafen Batavia auf dem reichen und dicht bevölkerten Eiland Java hinaus zu dem Archipel der Sunda-Inseln. Ich fuhr als Passagier, meine einzige Triebfeder eine Art nervöser Unruhe, die mich plagte wie ein böser Geist.
    Unser Schiff war eine Schönheit von rund vierhundert Tonnen, mit Kupfer verschraubt, und gebaut in Bombay mit Teakholz aus Malabar. Es war beladen mit Baumwolle und Öl von den Laccadiven. Wir hatten außerdem an Bord: Kokosfaser, braunen Zucker aus Dattelpalmen, indische Butter, Kokosnüsse und einige Kisten Opium. Die Ladung war ungeschickt verstaut und das Schiff entsprechend unruhig.
    Wir liefen mit einem schwachen Windhauch aus, standen viele Tage lang an der Ostküste Javas, und das einzige, was die Monotonie

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