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80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste

Titel: 80 Tage - Neun Faden - Mary Celeste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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unserer Fahrt auflockerte, waren die gelegentlichen Begegnungen mit den kleinen Booten aus dem Archipel, der unser Ziel war.
    Eines Abends, während ich über der Heckreling lehnte, entdeckte ich eine sehr merkwürdige einzelne Wolke im Nordwesten. Sie war bemerkenswert, sowohl wegen ihrer Farbe als auch wegen des Umstands, dass sie die erste war, die wir seit unserer Abreise von Batavia ausmachen konnten. Ich beobachtete sie aufmerksam bis zum Sonnenuntergang, als sie sich mit einem Mal nach Osten und Westen ausstreckte und dem Horizont einen engen Gürtel aus Dunst anlegte. Sie sah aus wie die lange Kontur eines schmalen Strandes.
    Meine Aufmerksamkeit wurde gleich darauf von der dunkelroten Gestalt des Mondes beansprucht und von dem eigentümlichen Aussehen des Meeres. Letzteres durchlief eine rasche Wandlung, und das Wasser schien transparenter als gewöhnlich. Obgleich ich den Grund deutlich erkennen konnte, bewegte sich das Schiff in fünfzehn Faden tiefen Gewässern, wie mir das Lot verriet. Die Luft wurde nun unerträglich heiß und war gefüllt mit spiralförmigen Dämpfen, ganz ähnlich jenen, die von heißem Eisen aufsteigen.
    Als die Nacht hereinbrach, erstarb jedes Lüftchen, und eine vollkommenere Windstille konnte man sich nicht vorstellen. Die Flamme einer Kerze auf dem Hinterschiff brannte ohne die kleinste wahrnehmbare Bewegung, und ein langes Haar, das man zwischen Zeigefinger und Daumen hielt, hing herab, ohne dass es möglich gewesen wäre, eine Schwingung zu erkennen. Da der Kapitän sagte, es gebe keine Anzeichen von Gefahr, und da wir der Küste entgegen drifteten, befahl er, die Segel einzuholen und den Anker hinabzulassen. Keine Wache wurde aufgestellt, und die Crew, die hauptsächlich aus Malaien bestand, ruhte sich nach Lust und Laune auf Deck aus. Ich ging nach unten – nicht ohne eine starke Vorahnung des Unheils. Alle Anzeichen warnten mich vor einem schweren Sturm. Ich teilte dem Kapitän meine Befürchtungen mit, doch er kümmerte sich nicht um meine Worte und ließ mich zurück, ohne mich auch nur mit einer Antwort zu beehren. Meine Unruhe hielt den Schlaf von mir fern, und gegen Mitternacht kehrte ich an Deck zurück.
    Als ich meinen Fuß auf die oberste Stufe des Niedergangs setzte, erschrak ich über ein lautes, brummendes Geräusch, wie jenes, das von den schnellen Umdrehungen eines Mühlrades hervorgerufen wird, und ehe ich seine Herkunft ausmachen konnte, wurde das Schiff durch und durch erschüttert. Im nächsten Augenblick warf uns ein Schwall aus Schaum auf die Seite, fuhr einmal längs über uns hinweg und wusch das gesamte Deck vom Bug bis zum Heck.
    Die extreme Macht des Windstoßes trug einen Teil zur Rettung des Schiffes bei. Obzwar es ganz und gar mit Wasser vollgelaufen war, tauchte es, nachdem seine Masten über Bord gegangen waren, nach einer Minute schwerfällig aus dem Meer auf und kämpfte eine Weile gegen die enorme Kraft des Sturmes an, bis es schließlich wieder aufrecht stand.
    Durch welches Wunder ich der Vernichtung entkam, ist nicht zu sagen. Betäubt von der Wucht des Wassers, kam ich eingeklemmt zwischen dem Achtersteven und dem Ruder wieder zu mir. Mit großer Mühe bekam ich wieder Boden unter den Füßen, und als ich mich benommen umsah, war mein erster Gedanke, dass wir zwischen Brecher geraten sein mussten – so entsetzlich nahm sich der Strudel der schäumenden Wassergebirge des Ozeans aus, der uns einhüllte, so vollkommen jenseits jeder Vorstellungskraft. Nach einer Weile vernahm ich die Stimme eines alten Schweden, der im letzten Moment, ehe wir den Hafen verließen, noch bei uns angeheuert hatte.
    Ich rief ihn mit ganzer Kraft, und sofort schwankte er auf mich zu. Wir fanden rasch heraus, dass wir die einzigen Überlebenden des Unglücks waren. Alle an Deck, mit der Ausnahme von uns beiden, waren über Bord geschwemmt worden. Der Kapitän und die Offiziere mussten im Schlaf getötet worden sein, denn die Kabinen standen unter Wasser.
    Ohne Hilfe konnten wir nicht hoffen, viel für die Sicherheit des Schiffs tun zu können, und wir waren zunächst wie gelähmt von der Erwartung, jeden Augenblick unterzugehen. Die Ankerleine war natürlich beim ersten Ansturm des Hurrikans gerissen wie eine Paketschnur, sonst wäre das Schiff auf der Stelle unter Wasser gezogen worden. Wir jagten mit erschreckender Geschwindigkeit vor den Wellen dahin, und das Wasser teilte sich über uns. Das Gebälk unseres Schiffs war stark mitgenommen, und wir hatten in

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