9 - Die Wiederkehr: Thriller
Andrea ihn an.
»Und Davo war neunundzwanzig, als man auf ihn geschossen hat.« Er biss die Zähne aufeinander. »Haargenau so alt wie ich. Denn eigentlich hätte ich an diesem Tag sterben sollen, ich hätte der Vierte sein müssen, denn so steht es geschrieben.« Er holte tief Luft, um wieder zu Atem zu kommen. »So steht es geschrieben seit meiner Geburt. Und da ich Davo nicht mehr retten kann, wie du mir immer wieder sagst, muss ich mich wohl damit begnügen, den Jungen zu retten. Denn es wird ein fünftes Mal passieren, und diesmal wird der Junge das Opfer sein. Und, Drea, wenn der Tag kommt, an dem im Open ein Kind stirbt, ohne dass ich alles Menschenmögliche getan habe, um es zu vermeiden, in dem Wissen …«
Er hielt inne, um Luft zu holen.
Aber er sprach nicht weiter.
Er ließ den Finger sinken, mit dem er abwechselnd auf die Zettel und auf Andrea gezeigt hatte. Zum ersten Mal sprach er all die Gedanken laut aus. Es hörte sich seltsam an.
»Und wie gedenkst du diesen Jungen zu retten?«, wollte Andrea wissen.
Einen Augenblick lang war sich Aarón sicher, dass sie ihn gerade als verrückt bezeichnet hatte. Ihm gesagt hatte, dass er sich von den Schuldgefühlen habe überwältigen lassen. Dass dieser Junge nur eine Ausgeburt seiner Fantasie sei, ein Ersatzobjekt für den Freund, den er in der Realität nicht hatte retten können. Aber Andrea hatte gar nichts dergleichen gesagt. Sie hatte ihn gefragt, was er tun wolle, um den Jungen zu retten.
Denn es gibt diesen Jungen wirklich, und sie glaubt dir, dachte Aarón.
»Indem ich die Tage zähle«, antwortete er. »Wenn dieser Junge zum Zeitpunkt des nächsten Überfalls neun Jahre, drei Monate und zwei Tage alt sein wird, muss ich nichts weiter tun, als von dem Tag an, an dem Davo angeschossen wurde, die Tage zu zählen. Ich kann das Datum ausrechnen, an dem es passieren wird, Drea.« Er lächelte. »Wir sind in der Lage vorauszusehen, wann der nächste Überfall stattfindet.«
Da tauchte zwischen den anderen vier Blättern noch ein fünfter Zettel auf. Ganz oben auf dem Blatt stand ein Datum, dass Andrea nur schräg von der Seite sah. Sie erkannte nur, dass es sich um einen Tag im Jahr 2009 handelte.
»Ich nehme an, es wird wieder im Laden des Amerikaners passieren.«
»Alles andere ergibt keinen Sinn.«
»Und weißt du auch, warum das alles hier, dir, uns passiert?«
»Keine Ahnung, Drea. Aber ich kann nicht einfach abstreiten, was ich mit meinen eigenen Augen sehe. Das hier«, und dabei hob er den Stapel beschriebener Blätter hoch, »das hier ist real.«
Andrea schluckte. Sie musste noch einmal an Doktor Huertas denken. Sie bemühte sich, wenigstens ansatzweise zu lächeln. Sie wollte Aarón ganz ruhig ansehen. Sie beobachtete seine Augen. Sie kamen ihr fremd vor.
»Außerdem«, fuhr er fort, »da der Junge ja an dem Tag geboren wird, an dem das vorherige Opfer stirbt« – er kratzte sich am Hals –, »ist dieser Junge jetzt schon auf der Welt. Es wurde an dem Abend geboren, als man auf Davo geschossen hat, am zwölften Mai diesen Jahres.« Er zeigte die Zähne, ohne zu lächeln. »Ich kann ins Krankenhaus fahren und es überprüfen. Ich kann die Eltern des Jungen jetzt schon warnen. Andrea.«
Aarón packte sie an den Handgelenken und zog sie so nah zu sich heran, dass sie die trockene Haut unter seinem Bart sehen konnte.
»Ich kann ihm …« Er befeuchtete sich mit der Zunge die Lippen, bevor er weitersprach. »… das Leben retten.«
Und dann wird Davo mir verzeihen.
Er hielt Andreas Handgelenke noch immer fest umklammert.
»Aber das wirst du nicht tun«, erwiderte sie.
»Warum nicht …?«
Andrea löste ihre Hände aus seinem Griff. Sie sammelte alle Blätter zusammen, die zwischen ihnen auf dem Sofa lagen und stapelte sie mit der Geschicklichkeit einer Universitätsdozentin, wobei sie darauf achtete, dass die Ecken fein säuberlich aufeinanderlagen. Sie faltete die Zettel einmal in der Mitte, packte das Notizbuch oben auf das Bündel und stand auf. Mit Nachdruck legte sie den ganzen Haufen auf den Laptop auf dem Tisch.
»Darum. Weil ich dich nicht ins Krankenhaus fahren lasse.« Diesmal war sie es, die mit dem Finger auf ihn zeigte. »Schau dich mal an, wie du aussiehst. Ich werde nicht zulassen, dass du in diesem Zustand da hinfährst, um nach einem Kind zu fragen, das du gar nicht kennst, und den frischgebackenen Eltern zu erzählen, dass ihr gerade erst geborener Säugling in zehn Jahren bei einem Überfall getötet wird. Und
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