9 Stunden Angst
und rief: »Halt! Sagen Sie uns, wer Sie sind!« Die Schwimmerin – jetzt sah er, dass es eine Frau war – hielt inne und schwamm auf der Stelle, während sie erklärte, dass sie aus dem Zug geflüchtet sei. Nachdem Pat und Smithy sich vergewissert hatten, dass sie unbewaffnet war und keinen Sprengstoff am Körper trug, begleiteten sie die Frau zum Bahnsteig und kehrten nach einigen Minuten grinsend und witzelnd wieder zurück. Andy beneidete sie um ihre Unbekümmertheit. Ihm selbst machte das immer höher steigende Wasser im Tunnel zunehmend Angst.
Als es so aussah, als würde das Wasser die Tunneldecke erreichen und als müssten er und seine Männer auf die gerade noch rechtzeitig eingetroffenen Sauerstoffgeräte zurückgreifen, gab es plötzlich eine gewaltige Explosion im Tunnel. Wellen schwappten gegen die Wände. Gleich darauf begann der Wasserstand zu sinken, und Andys Kommandeur gab ihnen per Funk grünes Licht für einen Zugriff.
Während sie im Motorboot auf den Zug zufuhren, spürte Andy den gleichen Adrenalinschub und die gleiche Erregung wie bei jedem Einsatz. Das Wasser war immer noch so hoch, dass sie die Köpfe einziehen mussten, um nicht gegen die Decke zu stoßen. Der Lärm des Außenborders hallte ohrenbetäubend von den Wänden wider, doch es war die angedrohte Zündung des Sprengstoffs, die Andy am meisten Sorgen machte. Er konnte nur hoffen, dass die Zündvorrichtungen der Terroristen durchnässt waren und nicht mehr funktionierten.
Pat saß im Bug und leuchtete mit einem tragbaren Scheinwerfer nach vorn, um mögliche Scharfschützen zu blenden. Genau wie erwartet kamen die ersten Schüsse, als sie sich dem Zug auf etwa dreißig Meter genähert hatten. Sie sahen mehrmals das Mündungsfeuer einer Handfeuerwaffe aufblitzen. Kugeln schossen durch den Tunnel und prallten von den Wänden ab. Ein Querschläger erwischte den Scheinwerfer in Pats Hand. Metallteile und Glassplitter flogen durchs Boot.
»Alles in Ordnung, Pat?«, rief Andy über den Motorenlärm hinweg.
Pat antwortete mit einem »Ja!«, aber Andy erkannte im Licht seiner Taschenlampe, dass er aus einer kleinen Kopfwunde blutete. Die Schüsse waren zwar unangenehm, lieferten jedoch zumindest den Beweis, dass sie nicht auf einen Zug voller Leichen stoßen würden. Wenn die Entführer noch am Leben waren, standen die Chancen gut, dass dies auch für den Großteil der Geiseln galt.
»Motor aus!«, rief er, und Todd schaltete den Außenborder ab. Sie hatten noch genug Schwung, um weiter Richtung Zug zu gleiten. Falls die Entführer ein Nachtsichtgerät besaßen, waren sie nun ein leichtes Ziel.
Die Männer kauerten sich ins Boot und zogen die Köpfe ein, während eine weitere Salve auf sie abgefeuert wurde. Zwei Kugeln trafen Luftkammern ihres Boots, so dass die Männer nach vorne rutschten. Smithy versuchte, sein HK G36 ruhig zu halten, während der Lichtkegel der am Lauf integrierten Nachtsichtvorrichtung eine Gestalt erfasste, die mit einer Handfeuerwaffe in der Tür des Schlusswagens stand. Smithy richtete sein Rotpunktvisier auf die Gestalt und fing an zu schießen, doch das Entweichen der Luft aus dem Schlauchboot machte es ihm unmöglich, die Schusslinie aufrechtzuerhalten. Die Kugeln trafen nur das Metall des Schlusswagens. Nachdem das Schlauchboot immer mehr Luft verloren hatte und schließlich ganz gesunken war, waren Andy und seine Männer gezwungen, sich schwimmend weiterzubewegen. Ihr Feind hingegen hatte festen Boden unter den Füßen und saß somit am längeren Hebel. Sie mussten die Kontrolle zurückgewinnen, und zwar schnell.
15.25 Uhr
Zug Nummer 037 der Northern Line, sechster Waggon
Belle sah den roten Punkt gerade noch rechtzeitig und trat in den Schlusswagen zurück, um sich vor der Salve des Schnellfeuergewehrs in Sicherheit zu bringen. Es war nicht das erste Mal, dass sie heute mit Angreifern fertigwerden musste. Die Männer, die sich mit dem Schlauchboot näherten, waren zwar weit gefährlicher als die Zuginsassen von vorhin, aber Belle war zuversichtlich, sie genauso mühelos abwehren zu können. Was auch immer die Ursache für die Explosion und das sinkende Wasser war, Tommy würde sich etwas einfallen lassen. Tommy ließ sich immer etwas einfallen. Belle musste lediglich die Stellung halten und sämtliche Rückeroberungsversuche vereiteln. Tommy hatte ihr von Anfang an gesagt, dass es eine lange, gefahrvolle Reise werden würde. Wie immer hatte er recht behalten.
Sie hörte, wie die Männer im Wasser
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