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9 Stunden Angst

9 Stunden Angst

Titel: 9 Stunden Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Kinnings
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näher kamen. Wenn sie doch nur mehr Geschosse im Breischläger übriggehabt hätte, dann hätte sie ihnen zeigen können, wie fürchterlich der Zorn Gottes war. In der Glock waren noch – wie viele? – sieben oder acht Schuss. Sie hatte nicht genau mitgezählt, aber Gott würde sie sicher nicht im Stich lassen. Nicht, nachdem sie es schon so weit geschafft hatten. Tommy hatte gesagt, dass der erfolgreiche Ausgang ihres Kreuzzugs feststehe, wie lang und schwierig der Weg dorthin auch werden würde. Das Wasser des heiligen Flusses würde nicht aufhören zu fließen, und der Tunnel würde sich wieder mit Wasser füllen. Sie würde spüren, wie es über ihrem Kopf zusammenschlug, so wie sie es schon einmal gespürt hatte.
    Belle trat wieder in die Türöffnung und feuerte zwei Schüsse ins Wasser ab. Die Männer antworteten mit einer weiteren Schnellfeuersalve, doch sie zog sich rechtzeitig in den Schlusswagen zurück. Sie fühlte sich unbezwingbar. Sie war Gottes Kriegerin.
    Die Feinde kamen näher, und sie ließ es zu. Die Dunkelheit verhinderte, dass Belle genau zielen konnte, stellte die Männer jedoch vor die gleichen Schwierigkeiten. Lass sie herankommen, dachte Belle, lass sie denken, dass sie mich aus dem Weg räumen können. Es würde ihnen nichts nützen. Ihre Mitmenschen hatten sie schon immer unterschätzt. Sollten sie es auch jetzt tun. Sollten sie Gottes Werk zu spüren bekommen, Gottes Zorn in Gestalt seiner treuen Dienerin Belle Denning.
    Jetzt waren sie so nah, dass Belle sie hören konnte. Trotz des Geschreis aus den Waggons hörte sie jede Bewegung der Männer im Wasser. Sie trat aus dem Schlusswagen und schoss noch einmal mit ihrer Glock in die Dunkelheit.
    Der erste Schuss, der sie traf, zerschmetterte ihren Oberschenkelknochen, der zweite zertrümmerte ihr Schambein, und der dritte drang durch ihren Nabel ein, durchquerte ihren Unterleib und durchtrennte ihr Rückenmark. Belle sank nach hinten in den Schlusswagen, trieb im Wasser, bis sie gegen Simeon stieß.
    Sie hatte Schmerzen, unglaubliche Schmerzen, aber was passiert war, sollte offenbar so sein. Sie war getauft und wiedergeboren worden, würde niemals sterben. Belle richtete die Glock auf die Tür und zog den Abzug durch, bis das Magazin leer war. Dann ließ sie die Waffe ins Wasser fallen und griff nach ihrem Breischläger. Im Licht der Taschenlampen, die im Tunnel immer näher kamen, sah sie Simeons Gesicht aus der Dunkelheit auftauchen. Sie beugte sich vor und küsste seine kalten, toten Lippen, bevor sie den Breischläger in der Hand umdrehte und sich das Ende des Laufs in den Mund steckte. Im Magazin befand sich das letzte heilige Geschoss, dessen Kreuz sie eigenhändig in das Blei gefeilt hatte. Es war Gott, der ihre Hand dabei geführt hatte, und es war derselbe Gott, der nun ihre Hand führen würde. Und genauso sollte es sein.
    Die Schmerzen der Schussverletzungen ließen nach und wichen einem warmen Gefühl, einem Gefühl der Liebe und des Friedens. Es war der Erlöser, der nach ihr griff und sie aus diesem dunklen Ort befreite, um sie in seinen Armen zu wiegen.
    Die Lichter kamen näher, sie hörte Stimmen. Einer der Männer im Tunnel sagte: »Ich glaube, wir haben sie erwischt.« Er irrte sich. Sie würden sie nie erwischen. Niemals. Sie streichelte den Abzug des Breischlägers mit dem Zeigefinger, und als die Lichter fast bei ihr waren, drückte sie ab. Das letzte heilige Geschoss, dieser gesegnete Bleiklumpen mit dem eingeritzten Kreuz, würde sie ins Himmelreich befördern.
    Als die vier Soldaten an Bord des Zuges gingen, erblickten sie zwei Leichen: einen Mann und eine enthauptete Frau. Sie hatten es eilig, im Halbdunkel zu den Stimmen zu gelangen, die sie weiter vorn im Zug hörten, und merkten daher nicht, dass Blut, Hirnreste und Knochensplitter von der Decke des Schlusswagens auf sie heruntertropften.
    15.25 Uhr
    Zug Nummer 037 der Northern Line, erster Waggon
    Das Motorengeräusch kam näher und mit ihm ein grelles Licht, das auf beiden Seiten durch die Fenster in den Waggon drang. George erkannte wenige Meter neben sich Dennings Silhouette. Der Entführer stand mit erhobener Waffe im Wasser. Beim kleinsten Anzeichen dafür, dass er sie auf ihn richtete, würde George untertauchen. Er spannte die Muskeln an, machte sich bereit. Aber seine Sorge war unbegründet, denn Denning drückte sich den Lauf der Browning von unten gegen das Kinn und fing an, Abschiedsworte zu murmeln. In George erwachte rasende Wut. Er musste

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