9 Stunden Angst
berührten Dennings Gesicht. Er hörte, wie der Entführer keuchend Luft holte.
»George?« Denning klang verwirrt, orientierungslos. Das sinkende Wasser war nicht Teil seines Plans. George antwortete nicht, doch als seine Hand die Wunde in Dennings Wange streifte, schloss er kurzerhand die Finger um den unteren Rand und zog kräftig daran. Denning stieß vor Schmerz und Wut einen lauten Schrei aus. Statt loszulassen, zog George Dennings Kopf an der geschundenen Wange zu sich heran. Mit der anderen Hand tastete er nach Dennings Augen, aber der Entführer fing an, wild nach dem Verursacher seiner Schmerzen zu schlagen. Ein Fausthieb streifte Georges Stirn, dem es jedoch an Wucht und Präzision fehlte. George holte mit der linken Hand aus, schätzte mithilfe seiner rechten Hand die genaue Position von Dennings Kopf ab und bombardierte ihn mit Schlägen. Das Wasser schwächte seine Hiebe ab, und er musste einen weiteren Hieb von Denning einstecken, der dieses Mal zwar kräftiger und verzweifelter wirkte, aber immer noch nicht genügte, damit George von ihm abließ.
Die Kette fesselte ihn nach wie vor an die senkrechte Stange und riss ihm die Haut an der Wade auf, doch kein Schmerz der Welt würde George aufhalten. Dennings nächster Treffer fiel allerdings deutlich schmerzhafter und brutaler aus, denn er hatte nach seiner Waffe gegriffen. Der quadratische Lauf seiner Browning traf George mitten auf die Nase. Er konnte seine Reflexe nicht unterdrücken und ließ Denning los, um sich das blutende Gesicht zu halten.
Denning schlug wild um sich und versuchte, George erneut mit dem Lauf seiner Waffe zu treffen. Keuchend rangen die beiden Männer im Wasser miteinander, bis sie ein Geräusch außerhalb des Zuges hörten, das immer lauter wurde. Es war das Brummen eines Motorboots, ein Geräusch, das in einem Tunnel eigenartig fehl am Platz wirkte. Es kam immer näher.
15.23 Uhr
U-Bahn-Station Leicester Square, Tunnel der Northern Line
Andy verbrachte viel Zeit damit, sich verschiedene Einsatzszenarien auszumalen. Schließlich bestand sein Job zum Großteil aus Warten. Aber mit so etwas hatte er in seinen kühnsten Träumen nicht gerechnet. Dabei hatten sie erst kürzlich auf einem Lehrgang durchexerziert, was im Falle einer gekidnappten U-Bahn zu tun war. Andy hatte sich natürlich nicht zur Sondereinsatztruppe des britischen Militärs gemeldet, um in geschlossenen Räumen herumzusitzen und Dozenten zuzuhören, fand es jedoch nicht uninteressant, Lösungen für hypothetische Krisensituationen zu entwickeln. Die meisten dieser Krisensituationen hatte er während seiner zehnjährigen Dienstzeit bereits hautnah erlebt. Als er an diesem Vormittag erfahren hatte, dass die Zugentführer nun auch noch den Tunnel fluteten, war ihm sofort klar gewesen, dass dieses Szenario eine neue Dimension darstellte, dass es in den Planungen der Sicherheitsbehörden noch nicht vorgekommen war. Genau wie am elften September war der Einfallsreichtum der Terroristen demjenigen ihrer Gegner einen entscheidenden Schritt voraus.
Man hatte beschlossen, zwei Einsatzteams zusammenzustellen, von denen sich eins am U-Bahnhof Tottenham Court Road und eins am U-Bahnhof Leicester Square bereithalten sollte. Als die Neuigkeit von der Flutung des Tunnels die Runde gemacht hatte, war Order von ganz oben ergangen, dass diejenigen mit der größten Taucherfahrung zwei Spähtrupps aus jeweils vier Männern bilden sollten. Doch nachdem alle nötigen Vorbereitungen getroffen waren und die Tauchausrüstung, darunter ein aufblasbares Einsatzboot, bereitgestellt war, erfuhren sie, dass es aufgrund der Androhung weiterer Explosionen keine Freigabe für das Stürmen des Zuges gab. Beide Einsatzteams bekamen die Anweisung, im Tunnel Stellung zu beziehen, allerdings in sicherem Abstand, um sich keinem Beschuss aus dem Zug auszusetzen. Dort sollten die Männer warten, bis die Verhandlungen mit den Terroristen weitere Ergebnisse brachten.
Andy bekam die Einsatzleitung für Gruppe A übertragen, das Team im Süden des Tunnels, das vom U-Bahnhof Leicester Square aus operierte. Er und seine drei Männer – Pat, Todd und Smithy – warteten im Wasser und hielten sich am Schlauchboot fest, während der Pegel immer weiter stieg.
Als Pat plötzlich mitteilte, er sehe durch sein Nachtsicht-Zielfernrohr eine Person, die auf sie zuschwimme, war Andy zunächst nervös. Hatten sie es mit einem Hinterhalt zu tun? Er richtete den Strahl seiner Taschenlampe auf die schwimmende Person
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