Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
9 Stunden Angst

9 Stunden Angst

Titel: 9 Stunden Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Kinnings
Vom Netzwerk:
verbrauchen als Menschen in einem Zustand der Gelassenheit. Aber wer blieb schon gelassen, wenn er nur einen einzigen Atemzug in der Lunge hatte, der aller Voraussicht nach der letzte bleiben würde? Panik hatte den ganzen Zug ergriffen und verbrauchte in Sekundenschnelle die Luft in den Körpern der Menschen.
    Sämtliche Fahrgäste spürten den quälenden Sauerstoffmangel und wussten, dass er irgendwann zu Bewusstlosigkeit führen würde. Die meisten Passagiere hielten verzweifelt an der kleiner werdenden Luftmenge fest, die sie eingesogen hatten, bevor das Wasser die Waggondecken erreicht hatte. Aber es gab auch solche, die es den Menschen nachtaten, die lieber aus den Zwillingstürmen des World Trade Center gesprungen waren, statt einen langsamen Flammentod zu sterben. Diese Passagiere stießen brüllend den Sauerstoff aus und hofften, dass sie dadurch schneller starben und die Tortur ein Ende hatte.
    Niemand kam, um sie zu retten.
    15.20 Uhr
    U-Bahnhof Leicester Square, Versorgungsschacht
    Conor drückte ein drittes Mal auf den Knopf. Immer noch nichts.
    »Was ist das Problem?« Ed hörte selbst, wie panisch er klang.
    Statt zu antworten, warf Conor den Zünder gegen die Tunnelwand. Plastiksplitter und Teile der Leiterplatte fielen klappernd auf den Steinboden.
    »Sagen Sie mir endlich, was los ist, Conor.«
    »Ich stecke die Zündschnur direkt in die Batterie.«
    Ed lauschte auf Conors stockenden Atem, während dieser an den Einzelteilen des Zünders herumfummelte. Dann atmete der Ire geräuschvoll aus. Ed hatte keine Gelegenheit mehr, ihn zu fragen, was das bedeutete. Er spürte die Explosion, bevor er sie hörte. Die Erschütterung im Boden erreichte zuerst seine Füße, dann seine Beine. Anschließend ertönte ein ohrenbetäubender Knall, gefolgt von einem tiefen Grollen, das anschwoll, je näher es kam. Die Druckwelle, die es begleitete, riss ihnen beiden die Füße weg und warf sie zu Boden, wo sie zwischen Rauch und wogendem Ziegelstaub weiterrollten.
    Ed verlor vorübergehend das Bewusstsein. Als er wieder zu sich kam, hatte er das Gefühl, aus einem Traum zu erwachen. Seine Sonnenbrille war ihm vom Kopf geflogen. Er setzte sich benommen auf und fing reflexartig an, nach ihr zu tasten.
    »Conor?«
    Keine Antwort. Eds Hände durchsuchten den Ziegelstaub und den Schutt, der sich um ihn herum angesammelt hatte.
    »Conor?«
    Seine Finger stießen auf eine warme Flüssigkeit. Er hob die Hand und roch daran. Es war Blut, entweder seins oder das des Iren.
    »Conor?«
    Er hatte Glück. Seine Finger schlossen sich um seine Sonnenbrille, und er setzte sie auf. Die Gläser waren gesprungen, aber nicht herausgefallen, bildeten weiterhin eine Barriere zwischen Eds blinden Augäpfeln und der Außenwelt.
    »Conor?«
    »Scheiße, tut mir der Schädel weh«, murmelte Conor mit gequälter Stimme. Dann hörte Ed noch etwas: Wasser. Es plätscherte gegen die Wände des Schachts und schien immer schneller auf sie zuzukommen. An Conors Stimme hatte Ed erkannt, wo sich dieser befand. Er robbte zu ihm und schaffte es gerade noch, seinen Arm zu packen, als sie auch schon von einer Welle kalten, schlammigen Wassers erfasst wurden.
    15.21 Uhr
    Zug Nummer 037 der Northern Line
    In dem schmalen Streifen, der am Scheitelpunkt der Waggondecken aus dem Wasser auftauchte, öffneten sich die Münder. Während das Wasser Zentimeter für Zentimeter sank, taten die Passagiere des Zugs Nummer 037 die ersten Atemzüge ihres neuen Lebens. Die Stoßwelle der Explosion hatte einige Trommelfelle platzen lassen und vielerorts für Kopfschmerzen gesorgt, aber jeder, der unter Wasser verschwunden war, tauchte lebend wieder auf. Die Hoffnung, dass der Anfang vom Ende ihres kollektiven Albtraums gekommen war, breitete sich wie ein Lauffeuer aus.
    George stieß die alte Luft aus seiner Lunge und atmete neue ein. Noch nie hatte ein Atemzug so gut geschmeckt.
    »Maggie?«
    Nur mühsam gelang es ihm, den Kopf über Wasser zu halten, und seine Stimme klang zitternd und schwach. Es war unwahrscheinlich, dass sie ihn im nächsten Waggon hörte. Dennoch erfüllte ihn die Tatsache, dass sie nicht antwortete, mit Panik, und er krächzte ein wenig lauter: »Maggie!« Er hörte eine Stimme, war sich jedoch nicht sicher, ob es ihre war. Also schrie er erneut ihren Namen, und als sie dieses Mal antwortete, erkannte er sie. Sie lebte!
    Leider lebte auch Denning, er musste ganz in der Nähe sein. George streckte im Dunkeln die rechte Hand aus, und seine Finger

Weitere Kostenlose Bücher