90 Tage auf Bewaehrung
- Keyboards, Gitarren, Noten, Papier, Berge von Papier und dazwischen eine kleine, zart aufkeimende Liebe. Er war Musiker und ich sooooo verknallt. Sonst hätte ich das gar nicht ausgehalten,
mir eher einen oder besser gleich zwei verschiedene Pilze geholt. Wir waren trotzdem vier Jahre zusammen, bis meine Stauballergie nicht mehr aufzuhalten war und er die Frau seines Lebens fand - eine die aufräumte, putzte und wischte.
Da hätte sich echt ein »Einsatz in vier Wänden« gelohnt - aber vielleicht wäre selbst die dicke Tine daran gescheitert.
Kerstin kam da mal an einen, der die Wohnung seiner Eltern übernommen hatte - mit allen Möbeln! Im Schlafzimmer dominierte das Astronautenbett mit eingebauten Radios und Winnie-Puuh-Biberbettwäsche. Hatte auch seine Mutter dagelassen, als sie für immer nach Mallorca zog (hätte ich auch gemacht, bei der Einrichtung!). Im Wohnzimmer die Schrankwand, genau, Modell »Gelsenkirchner Barock«, dazu schwarze, schwere, tiefe Couchen mit unzähligen Knöpfen, die sich beim Sitzen schmerzhaft in den Po bohrten, und davor ein merkwürdiger Holztisch mit eingelassenen Kacheln drauf. Okay, er hatte den Achtzigerjahre-Geschmack seiner Eltern übernommen. Gibt’s nichts dran zu rütteln.
Zu einem pathologischen Fall wird’s dann, wenn der Typ sich gemütlich mit Winnie-Puuh und Radio in die Nacht kuschelt, wenn er sich so wohl fühlt in diesem furchtbaren »No-Go« einer Wohnungseinrichtung, dass er selbst wie ein Stück Interieur wirkt: eingestaubt, müde, langweilig und alt. Nach zwei Nächten und schrecklichen Alpträumen von »Räuber Hotzenplotz« und »Hanni und Nanni« verschwand Kerstin für immer - nicht, ohne vorher ein Glas Orangensaft in das Bett-Radio geschüttet zu haben. Da hat wohl ihr stark beanspruchtes Unterbewusstsein reagiert, sie konnte also quasi nichts dafür. Sehr viel später hat sie dann über tausend Ecken erfahren, dass er ein kleines Vermögen dafür ausgegeben
hat, das Radio originalgetreu wieder reparieren zu lassen, der Idiot.
Okay, es gibt auch das andere Extrem von pathologischem Fall einer Wohnungseinrichtung. Sabrina schleppte mal einen an, der auf den ersten Blick eigentlich ganz normal wirkte. Aber dann begann er zu renovieren. Wohlgemerkt: Die Wohnung war vorher komplett in Ordnung, aber nicht, wenn man ein Zwangsneurotiker ist - wie er! Er wollte Lack - an allen Wänden (dabei hatte er weder Hunde noch Kinder, sodass er irgendetwas von den Wänden wischen müsste!). Lack ist giftig und stinkt. Wozu dann? Kann ich mich danach drin spiegeln? Nachdem der vierte Maler mit Vergiftungserscheinungen im Krankenhaus lag, fand er endlich einen, der offensichtlich lackresistent war und ihm auch gut genug erschien, die Luxusware an seine Wand zu schmieren. Der Prozess allein dauerte vier Wochen, weil der Maler alle Wände - und wenn ich alle sage, meine ich alle - mindestens dreimal streichen musste, bis es perfekt genug war. Nach diesen vier Wochen war sein Gehirn schlicht benebelt (was vieles erklärte, aber nicht alles entschuldigte), und Sabrina nahm Reißaus, als er begann, die Wohnung mit genau dieser Besessenheit neu einzurichten. Das überstieg ihre Geduld, ihre Kräfte und ihr Nervenkostüm. Der Auslöser für den spontanen Wunsch, für immer aus dieser Beziehung zu fliehen, war, dass sie aus Versehen mit ihren sauberen (!!!) Straßenschuhen ein winziges Stück Teppich betrat und er ihr einen Vortrag über die Verkeimung an dieser Stelle hielt. Nee, das war eindeutig zu viel.
Stellen Sie sich mal vor, in so einen Patienten verlieben Sie sich ernsthaft? Wie soll denn das jemals gehen? Wenn Sie also eine gemeinsame Zukunft planen, gucken Sie sich sein Zuhause ganz genau an - schließlich wollen Sie ja eventuell
die nächsten Jahrzehnte ohne Alpträume und aufkeimende Neurosen mit Ihrem Schatz glücklich und zufrieden in einer gemeinsamen Wohnung leben.
Die 32 Jahre alte Grundschullehrerin, die gern bastelt und in ihrer Freizeit Gitarre spielt, im Sommer zeltet und im Winter Ferien im einsamen Norwegen macht, zieht mit einem kunstverrückten plastischen Chirurgen zusammen, der seinen Gästen Filzpantoffeln überstreift, bevor sie das Haus betreten dürfen, die teuersten Architektur- und Inneneinrichtungszeitungen immer zur Hand hat und beim Geschlechtsverkehr am liebsten ein Handtuch drunterlegt. Wo die Liebe hinfällt!
Aber wer sollte für dieses Paar eine Einrichtung bauen? Hier werden zwei so unterschiedliche Leben zusammengeworfen, und
Weitere Kostenlose Bücher