90 Tage auf Bewaehrung
Handtüchern vorbei zum Taxistand.
Kerstin stellte nicht nur ihre Beziehung in Frage, sondern auch ihren Geschmack, ihre Verliebtheit und ihre Sehkraft (»Ich muss blind gewesen sein!«). Irgendwie schwante ihr zwar schon, dass sie sich ziemlich exaltiert, divenhaft und zickig benommen hatte, aber sie konnte beim besten Willen keinen Gang runterschalten. Dazu war sie zu stolz und zu weit gegangen. Und hatte sich auch zu dämlich aufgeführt. Sie ließ ihn wie einen kleinen Jungen stehen und wollte ihn auch tatsächlich in dieser Sekunde verlassen. Für immer!
Für immer hielt ungefähr eine Stunde. In dieser Zeit hatte er das Boot zurückgegeben, eine Marzipanrose an der Tankstelle gekauft und war ihr hinterhergefahren. Direkt vor ihrer Haustür spielte er Romeo, übergab ihr sein kleines Geschenk, guckte sie lieb an und sagte:«Schatz, trau mir, trau dir, trau uns. Lauf nicht immer so schnell weg.«
»Na gut, Kerstin, das war ja echt blöd von dir. Wegen so einer Kleinigkeit. Bei mir ist das natürlich ganz anders. Also ich glaube, das mit uns geht echt nicht mehr«, antwortete ich. »Aha. Und was ist bei euch so Schreckliches passiert?«
»Ich hab in sein Handy geguckt«, sagte ich ein wenig schuldbewusst und spürte sofort ihr blankes Entsetzen. »Du hast WAS?« »Kerstin, ich hatte eine Intuition. Ich gehe doch nicht ohne Grund an sein Handy.« Sie wissen ja: seine Ex. Die lag mir schon lange im Hals und auf der Seele. Na ja, und dann habe ich halt mal so geguckt.
»Und was stand da?«, fragte Kerstin mit kullerrunden Augen ob meiner abgebrühten Schnüffelmethoden. »Ich bin nicht Miss Marple, und ich habe das noch nie vorher getan. Aber ich konnte nicht anders...« »Wasstandda?« »Danke für den schönen Abend gestern. Lass ihn uns schnell wiederholen.«
Sie schwieg und schluckte.
Zehn Sekunden später fragte sie vorsichtig:
»Von wem war die SMS?«
»Von ihm. An seine Ex. Ich habe seine gesendeten SMSen gelesen, die empfangenen waren gelöscht.«
»Und was bedeutet das?«, fragte Kerstin.
»Dass ich meine Tasche packte, ihn sitzen ließ und hörte wie ›klong, klong, klong‹ mein Herz die Treppe runterkullerte.«
»Was ist schlimmer: dass er sich mit ihr getroffen hat oder dass er es dir nicht gesagt hat?«
Alles war gleichermaßen schlimm. Ich hatte das Gefühl, damit sei unsere Basis zerstört.
»Lass ihn doch mit seiner Ex quatschen«, mischte sich jetzt auch noch Sabrina ein, die sofort zum Krisengipfel angerauscht kam. »Mein Freund damals war ja viel schlimmer. Ihr wisst schon, Hans-Peter, der Typ mit den Versicherungen, wo Job und Name gleichermaßen gewöhnungsbedürftig waren. Der hatte mir nach vier Wochen erzählt, wie scheiße er meine Tochter, meine Erziehungsmethoden und die Art und Weise unseres Umgangs fand. Das muss man sich mal vorstellen: keine Ahnung von Kindern, aber Sprüche klopfen wie ein Doktor der Erziehungswissenschaften!« Sabrina hatte sich nach diesem Gespräch sofort getrennt; und damit war der erste Streit auch der letzte.
Aber wie kommt es, dass der erste Streit so viel auslösen kann? Dass plötzlich die Beziehung in Frage gestellt und die gemeinsame Zukunft »weiter oder Schluss« eine Millimeterentscheidung wird? »Ist doch logisch«, sagte Sabrina. »Man kennt sich kaum, ist extrem verletzbar, weil man sich gerade ein wenig aus seinem Schneckenhaus getraut hat, was in zunehmenden Alter und mit wachsenden schlechten Erfahrungen ja immer schwieriger wird. Und man hat Angst, auf
der Strecke zu bleiben. Nach dem Motto: Bevor du mir was kannst, bin ich schon lange weg! Wir sind nicht mehr so »neu«, dass wir uns völlig blind auf das Abenteuer Liebe einlassen: Wir haben ein Leben! Und wir lernen uns kennen und hoffen, dass beide Leben irgendwie zusammenpassen, kompatibel sind. Wir befürchten im tiefsten Innern, dass es den Hundertprozent-Mann wohl wirklich nicht gibt. Immerhin sind wir bereit, einige Abstriche zu machen, aber nur bis zu unserer eigenen Schmerzgrenze. Bei mir war’s meine Tochter, bei Kerstin die Ignoranz ihres Freundes, bei dir sein Verhältnis zu seiner Ex.«
Kerstin, Sabrina und ich haben gelitten wie Hunde - nicht essen, nicht schlafen, nicht ohne Handy aufs Klo. Sabrina und ihr Freund haben’s nicht geschafft. Kerstin hat ihrem Ruderkönig natürlich noch ungefähr 799 Medaillen umgehängt, bevor sie ihn verließ und ich... Ich beschloss, ihm zu glauben, dass er nur mit ihr Kaffee trinken war, und es zu akzeptieren und ein bisschen
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