90 Tage auf Bewaehrung
Tanzfläche entfernt. Wenn dann die Tanzfläche nicht in die Küche kommt - in Form einer höchst peinlichen Polonaise. Im Kindergarten habe ich Polonaisen
schon gehasst. Und diesem Werner Böhm möchte ich im Nachhinein noch etwas Schlimmes antun: »...fasst der Heidi von hinten an die Schulter.« Was ist denn das für’n Scheiß? Auf jeden Fall kam die Polonaise, und irgendwelche Hände rissen meinen Liebsten und mich einfach mit. Durchs Wohnzimmer, durchs Klo, am Schlafzimmer links vorbei, über’n Balkon bis in die Bibliothek. Über Stühle und Tische, hoch und nieder, immer wieder. Als diese entwürdigende Menschenkette endlich stoppte, standen wir zufällig auf der Tanzfläche, und Kylie Minogue begann »Cant Get You out of my Head« zu singen. Was war ich unentspannt. Von all diesen Ängsten wusste mein Liebster natürlich nichts. Er hüpfte irgendwie im Takt der Musik. Ja, er hüpfte. Ich schloss die Augen, mache ich sowieso gerne beim Tanzen. Lalalala... Zwischendurch blinzelte ich durch die fast geschlossenen Augenlider, um dann doch mal wahrzunehmen, was der Hüpfer vor mir so alles tat. Dazu muss ich sagen: ER war völlig normal, wie Männer halt so tanzen. ICH dagegen muss ausgesehen haben wie die dicke, rothaarige, zahnbespangte dreizehnjährige Pfarrerstochter, die zum ersten Mal rausgelassen wird. Verstehen Sie mich nicht falsch - ich bin auf der Tanzfläche sonst alles andere als verklemmt - ich flirte, ich spiele, ich kann Ihnen jede Rolle auf der Tanzfläche geben. Mit allen anderen Menschen - nur verdammt noch mal, warum nicht heute und hier mit meinem Liebsten? Ich war trotzdem fest überzeugt, dieses Programm hier heute Abend durchzuziehen - er sollte sich frei wie ein Vögelchen bewegen können, ohne dass ich ihn wie beim Turnier nach Pflicht und Kür, Haltung und Technik bewerten wollte. Das konnte ich später immer noch tun, wenn unsere Beziehung etwas gefestigter war.
»Was? Echt? Der hat getanzt... Das ist ja super!«, sagte Sabrina am Telefon.
»Echt, findste? Ist das nicht ein bisschen peinlich?«, stotterte ich ziemlich ratlos.
»Ach nö, Süße! Die meisten Frauen wären froh, wenn sie einen hätten, der gerne tanzt. Und wenn er seine Klamotten dabei angelassen hat und nicht schwitzte wie ein Puma (schwitzen die überhaupt?) - ist doch schon mal prima.«
Ich musste auflegen, mein Liebster kam. Er summte »Strangers in the Night« vor sich hin, hatte eine Rose in den Zähnen - oha, ein Moment, der auch wieder hätte peinlich werden können, wenn man seinen eigenen Verkrampfungen und Verklemmungen nachgibt. Aber es ist niemals peinlich, wenn man, statt nachzudenken und ständig alles zu analysieren, einfach mal mitmacht. Er riss mich an sich, und wir tanzten nach seinem Summen irgendeine Art von Walzer.
Endlich! Ein Mann der selbstbewusst mit mir tanzte und mich dabei zu führen wusste. In diesem Fall direkt ins Schlafzimmer!
Der erste Geburtstag
Ich habe schon viel Peinliches erlebt. Geburtstage, gerade wenn man sich noch nicht so gut kennt, gehören eindeutig dazu. Wie gemein. Der erste Geburtstag, und das im dritten Monat. Läge er wenigstens im ersten Monat der Beziehung, würden ein paar schöne Blumen, ein Buch und ein gemeinsames Essen alle Bedürfnisse befriedigen. Der dritte Monat allerdings verlangt Phantasie, persönlichen Einsatz und Mut. Man kennt sich schon ein bisschen besser, aber noch nicht gut genug, um in der Geschenkeauswahl hundertprozentig sicher sein zu können. Wie peinlich, wenn man merkt, dass sich der andere gerade große Mühe gibt, seine Enttäuschung zu verbergen.
Ich weiß nicht, was schlimmer ist: beschenkt zu werden oder selber zu schenken. Verstehen Sie mich nicht falsch - so nervenkrank bin ich nur, wenn es um IHN geht. Beschenke ich ihn, will ich natürlich, dass er dieses Geschenk nie vergisst. Nur - was heißt das? Soll ich mir 30 Milliliter von seinem Blut - wie Angelina Jolie und ihr Vor-Brad-Pitt-Liebster (oder Vor-vor-vor) - in einem filigranen, durchsichtigen, reagenzglasähnlichen, bruchsicheren Schmuckstück um den Hals hängen, um ewige Verbundenheit zu demonstrieren?
Schenkt man groß und teuer? Klein und wertvoll? Phantasievoll und einmalig? Ich kannte da mal einen echten Supertypen (irgendwo Mitte 40 und schon ein klitzekleines
bisschen kahl), der seiner kindlichen Gespielin ein Sonnenblumenfeld geschenkt hat - für eine Saison, 75 Kilometer von zu Hause entfernt. Die konnte also jeden Tag mit dem Fahrrad (war ja erst 17!) in
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