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900 Großmütter Band 1

900 Großmütter Band 1

Titel: 900 Großmütter Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. A. Hrsg Lafferty
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sondern von einem seltsamen, trägen, tiefen Dröhnen; und doch zeigte die Uhr sechs und hätte klingeln müssen. Und dann ertönte das tiefe Dröhnen zum zweitenmal, anscheinend direkt aus der Uhr.
    Er streckte die Hand nach dem Wecker aus. Nur eine ganz sanfte Berührung, aber er glitt – es war mehr ein Schwimmen als ein Gleiten – die Tischplatte entlang, schwebte dann hinunter auf den Fußboden und hüpfte dort, abprallend, ein paarmal lässig herum. Und als er ihn aufhob, ging er nicht mehr, und es half auch kein Schütteln.
    Er blickte auf die elektrische Küchenuhr. Die zeigte auch sechs Uhr, aber der Sekundenzeiger bewegte sich nicht. Die Radiouhr im Wohnzimmer war ebenfalls sechs, und auch ihr Sekundenzeiger schien stillzustehen.
    »Aber das Licht funktioniert doch in beiden Räumen«, sagte Vincent. »Wieso stehen beide Uhren still? Sind die Anschlüsse vielleicht an verschiedenen Stromkreisen?«
    Er ging wieder ins Schlafzimmer und nahm seine Armbanduhr auf; sie zeigte ebenfalls sechs, aber der Sekundenzeiger lief nicht um.
    »Also das kann ja blöd werden! Woran liegt es bloß, daß alle Uhren, die elektrischen und auch die mechanischen, stehengeblieben sind?«
    Er ging ans Fenster und blickte auf die Reklameuhr am Gebäude der Versicherungsanstalt. Auf der war es ebenfalls sechs Uhr, und der Sekundenzeiger bewegte sich nicht.
    »Na, vielleicht ist diese Konfusion nicht nur auf mich allein beschränkt. Ich habe mal die phantastische Theorie gehört, daß eine kalte Dusche den Geist klärt. Bei mir ist das zwar nie der Fall gewesen, aber ich werde es trotzdem mal versuchen. Ich kann ja immer noch sagen, es ist wegen der Sauberkeit.«
    Die Dusche funktionierte nicht. Doch, sie funktionierte: das Wasser lief, aber nicht wie Wasser, sondern wie sehr träger Sirup, der in der Luft hängenblieb. Er griff danach, wie es so da baumelte und immer länger wurde, und wollte es anfassen. Doch es zerbarst bei seiner Berührung wie Glas und schwebte in phantastischen trägen Kügelchen im Raum. Und dabei fühlte es sich wie Wasser an: es war naß und angenehm kühl. Und nach einer Viertelminute oder so traf es seine Schultern und seinen Rücken, und er drehte sich wohlig unter der Nässe. Er ließ seine Schädeldecke ordentlich durchfeuchten, und seine Gedanken wurden sofort klarer.
    »Mit mir ist alles in Ordnung. Ich fühle mich sauwohl. Ich kann gar nichts dafür, daß sich das Wasser heute früh so träge benimmt, und daß noch alles mögliche andere so sonderbar ist.«
    Er griff nach seinem Handtuch, aber es zerriß ihm unter der Hand wie nasses Löschpapier.
    Von jetzt an ging er sehr vorsichtig mit seinen Sachen um. Langsam, sacht und geschickt faßte er alles an, damit es nicht kaputtging. Er rasierte sich ohne Zwischenfall, obwohl das Wasser im Badezimmer so träge lief. Dann zog er sich mit größter Vorsicht und Verschmitztheit an, so daß ihm nichts kaputtging. Nur ein Schnürsenkel riß; und das kann ja schließlich immer mal passieren.
    »Wenn mit mir selbst alles in Ordnung ist, dann werde ich mal rausgehen und nachsehen, ob mit der Welt im allgemeinen irgend etwas ernsthaft nicht stimmt. Es war schon ziemlich hell, als ich aus dem Fenster sah, und das ist ja auch soweit ganz richtig. Ungefähr zwanzig Minuten sind vergangen; es ist ein klarer Morgen. Die Sonne muß jetzt die ersten drei, vier Stockwerke des Versicherungsgebäudes erreicht haben.«
    Aber das war nicht der Fall. Der Himmel war immer noch wolkenlos; trotzdem war es in diesen zwanzig Minuten nicht heller geworden, und auf der großen Uhr da drüben war es immer noch sechs. Da hatte sich nichts geändert.
    Und doch hatte sich etwas geändert, das wurde ihm jetzt bewußt, und er hatte ein sonderbares Gefühl dabei. Er hielt sich vor Augen, wie es gewesen war, als er zum erstenmal hinausgeschaut hatte: der Sekundenzeiger hatte sich inzwischen etwas bewegt. Er war über ein Drittel des Zifferblattes hinweggewandert. So zog er einen Stuhl vor das Fenster und beobachtete den Zeiger genau. Er stellte fest, daß er sich tatsächlich weiterbewegte, obgleich er keine Bewegung wahrnehmen konnte. Er beobachtete ihn etwa fünf Minuten lang: währenddessen kroch er über einen Sektor von etwa fünf Sekunden.
    »Na, das ist nicht mein Problem. Das betrifft den Uhrmacher, entweder einen irdischen oder einen himmlischen.«
    Aber er verließ die Wohnung ohne ein vernünftiges Frühstück, und ziemlich zeitig. Wie konnte er wissen, daß es noch früh genug

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