900 Großmütter Band 1
sein mußte, an den er gefesselt war?«
Shasos’ Schwingen klafterten vielleicht zwanzig Meter; er hatte einen großen Kopf mit einem Schnabel wie eine Sichel. Der eigentliche Vogelkörper war nur etwa so groß wie Garamask selbst.
Shasos war blitzschnell heran, hieb Garamask den Schnabel in die Leistengegend; aber Garamask versetzte der Bestie einen noch tieferen Stich in den Hinterkopf. Das Seil drehte sich mit Garamask. Beim zweiten Angriff erwischte Shasos Garamask im Kreuz, und Garamask führte einen erfolgreichen Gegenschlag, wieder in den Kopf des Vogels. Noch einmal – und Shasos riß Garamasks untere Flanke auf, krallte sich dort fest und brachte ihm Risse vom und hinten am Leib bei, fraß vielleicht sogar ein Stück von der Milz.
Aber Garamask führte einen Hieb, der den Kopf der Kreatur zur Hälfte spaltete, und Shasos taumelte in der Luft.
»Jetzt hab ich dich!« jubelte Garamask, »du stirbst auf deinen Schwingen. Aber jetzt kommst du zum letztenmal, und du willst meine Augen. Du willst sie mir aus dem Kopf hacken, was? ›Laß ihn nicht beides tun, sonst bist du im Nachteils hat der tote Allyn gesagt. Komm ’ran zu mir, du Küken! Jetzt ist Schluß mit dir!«
Shasos hackte Garamask auch wirklich über den Kopf, und irgend etwas hing über seine Wange herab. Ob es nun ein Fetzen Haut oder ein Auge war – Garamask wußte es nicht. Seine Faustklingen staken in der Kehle des Vogels, in dem langen strickartigen Hals, dessen Sehnen wie bei einem Kabel ineinander verflochten waren. Er drehte die Klinge wie einen Knebel, und die Sehnen gaben etwas nach. Dann gaben sie es ganz auf. Er drehte Shasos den Hals um wie einem Küken, denn Shasos war ein Küken. Und der große Vogel fiel wie ein Blatt in die schiefergrauen Wolken dort unten.
»Ich bin ganz schön aufgeschlitzt«, sagte Garamask, »aber es hängt nichts aus mir heraus. Ich habe immer gesunde Eingeweide gehabt. Jetzt kann der schlimme Aufstieg weitergehen, daß wir das vierte Tier jagen, das für mich ein Geheimnis ist und Allyns Tod war.«
Und Garamask kletterte weiter am Seil hoch. Es war sehr anstrengend, und oben begrüßte ihn das dümmlich grinsende Gesicht Chavos.
»Ich habe eine nette Überraschung für dich«, dröhnte er. »Ich werde sie fertigmachen, während du dich ausruhst.«
»Ich habe zwei Überraschungen für dich«, sagte Garamask, »und ich werde sie zur rechten Zeit fertig haben.«
›Du wirst guttun, die Brücke zu schwächen, über die du gegangen bist, und deinen Blick immer fest auf die Hinterseite deines Kopfes zu richten, hatte der tote Allyn gesagt. Chavo war mit seiner Überraschung beschäftigt; Garamask schwächte die Brücke, über die er gegangen war, nämlich das Seil, das ihn getragen hatte. Er schnitt es mit seiner Helmklinge an, aber er schnitt es nicht ganz durch. Es würde, so nahm er an, immer noch sein eigenes Gewicht beim Abstieg aushalten, wenn er sich nicht verrechnet hatte, und wenn er sich nicht einen anderen Abstieg suchen mußte. Aber ein Gewicht, das mehrfach größer als das seine war, würde es nicht aushalten.
»Ich löte ein Gerät in einen großen Felsblock«, sagte Chavo. »Ihr von der Erde versteht das Löten im Stein nicht, aber du wirst das Ding nicht losmachen und den Berg hinabwerfen können, und du wirst es auch nicht abstellen können, so daß es still ist.«
»Und ich mache mir auch etwas«, sagte Garamask. Er hatte mit seinem Fersendolch einen kleinen Teleorbaum abgeschnitten und schnitzte ihn jetzt mit der Faustklinge zurecht. »Wir sind auf dem Gipfel des Bior, Chavo, und es ist eine kleine Plat te, und niemand ist hier außer uns beiden. Wo ist das vierte Wild, der Bater-Jeno, den man auch Kliff-Affe oder Froschmensch heißt?«
»Bater-Jeno ist hier«, sagte Chavo, »er setzt sein Zeichen, so wie weiter unten Riksino sein Zeichen deutlich gesetzt hat.«
Garamask hatte eilig ein Stück Leine von Chavos Packen abgeschnitten, als der Klang ertönte; das war etwas Stärkeres als selbst Riksinos Gestank. Mit der Leine befestigte er eine seiner Ellbogen-Klingen, die er abgenommen hatte, an dem Teleorstab. Dann war es über ihm wie Wogen von Verwesungsgeruch, die kehlezuschnürende Kakophonie von Hittur-Musik und Oganta-Gesang. Chavo hatte ein Tonbandgerät am Felsen festgelötet – aber Garamask besaß jetzt einen guten, langen Speer.
»Du kannst das Musikding nicht abstellen, Papa Garamask«, gluckste Chavo. »Es wird dich in deinen letzten Augenblicken zum Wahnsinn treiben.
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