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900 Großmütter Band 2

900 Großmütter Band 2

Titel: 900 Großmütter Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. A. Hrsg Lafferty
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Karl Kleber wußte nichts von dem Experiment, und doch geschah das Sehen in beiden Richtungen. Durch eine Schleife in der Abfolge der Ereignisse ergab es sich, daß Kleber grade in diesem Moment Cogsworth studierte. Und obschon Cogsworth mit Klebers Augen sehen konnte, sah er sich selbst.
    »Ich schaue durch die Augen eines Voyeurs«, sprach Cogsworth bei sich, »und was bin ich selbst?«
    War die Welt Smimows, die Cogsworth zuerst betreten hatte, die großartigste gewesen, so war die vorletzte, in die er eindrang, die Welt Edmond Guillames, in jeder Hinsicht die mieseste. Es war eine Welt wie aus dem Innern eines Gallenganges gesehen. Keine angenehme Welt, denn Guillames war kein angenehmer Mensch. Aber wie kann jemand etwas anderes als ein Skeptiker sein, der sein ganzes Leben lang nichts anderes gesehen hat, als eine Welt aus gummiartigen Knochen und blutlosem Fleisch, in verkrüppelte Formen und obszöne Farben gekleidet?
    »Der Maulwurf in der Welt eines anderen wäre edler als der Löwe in seiner«, sprach Cogsworth. »Warum sollte auch jemand, der soviel zu kritisieren hat, kein Kritiker sein? Wie soll ein Mensch nicht zum Ungläubigen werden, wenn er vor das Dilemma gestellt ist, daß diese unappetitliche Welt entweder von Gott geschaffen oder von einem schieläugigen Vogel Strauß ausgebrütet worden ist? Ich habe durch die Augen eines Narren in eine Narrenwelt geblickt.«
    Als Cogsworth sich danach wiederum ausruhte, sprach er zu sich: »Ich habe die Welt durch die Augen eines Giganten, eines Königs, eines blinden Einsiedlers, eines Voyeurs, eines Narren gesehen. Jetzt bleibt mir nur noch übrig, sie durch die Augen eines Engels zu sehen.«
    Nun mochte Valerie Mok ein Engel sein oder auch nicht. Sie war jedenfalls eine schöne Frau; dagegen waren Engel, wenigstens nach der älteren und authentischeren Ikonographie, ernste Männer mit etwas struppigen Flügelspitzen. Valeries Gesicht trug den Ausdruck eines immerwährenden Amüsiertseins, und sie war die Verkörperung allen Charmes, allen Entzückens – wenigstens für Charles Cogsworth. Er hielt sie für äußerst geistreich. Hätte man ihn jedoch dieserhalb mit gezielten Fragen bedrängt, so wäre er allerdings beim besten Willen nicht imstande gewesen, sich auch nur einer einzigen geistreichen Äußerung aus ihrem Munde zu erinnern. Er hielt sie für ein Wesen von vollkommener Güte und Freundlichkeit, und tatsächlich war sie auch mehr oder weniger angenehm im Umgang. Indessen, wie Smirnow es einmal formuliert hatte, wurde sie gewöhnlich nicht für außergewöhnlich gehalten.
    Erst seit verhältnismäßig kurzer Zeit wußte Cogsworth: was er für sie fühlte, war nicht bloße Verwirrung, sondern Liebe. Und er verzweifelte daran, sie auf normalem Wege zu verstehen, obschon jeder andere sie ganz leicht verstand, wenigstens in allem, worauf es ankam; daher griff er jetzt zu einem außergewöhnlichen Mittel, um sie zu verstehen.
    Er schaute auf die Welt durch die Augen Valerie Moks und sagte sich dabei: »Ich werde die Welt durch die Augen eines Engels sehen.«
    Ihm wurde anders beim Schauen, aber nicht angenehm anders. Er blickte eine Zeitlang durch ihre Augen – vielleicht nicht so lange, wie er durch die Augen Smirnows geblickt hatte, doch immerhin ziemlich lange; er war außerstande, sich davon hinwegzureißen. Er schauderte und zitterte und schrumpfte in sich selbst zurück.
    Dann ließ er ab und verbarg sein Haupt in den Armen.
    »Ich habe die Welt durch die Augen eines Schweines gesehen.«
     
    III
     
    Charles Cogsworth verbrachte sechs Wochen in einem Sanatorium, das sich allerdings nicht grade Sanatorium nannte. Er hatte der Welt seine zweite große Erfindung geschenkt, und deren Vollendung hatte ihn vollkommen ausgeleert. Wie das bei solchen merkurischen Temperamenten häufig der Fall ist, war dem Hochgefühl der Entdeckung ein Zwischenspiel tiefer Verzweiflung gefolgt, weil er nun fertig war. Doch er hatte im Grund eine gesunde Konstitution und genoß auch die beste Pflege. Aber als er sich erholt hatte, war er nicht mehr der, der er vorher gewesen war. Er zeigte jetzt eine Art Ironie und eine lächelnde Resignation, die neu an ihm war. Es schien, als sei er durch seine Einblicke in die Welten anderer selbst in eine andere Welt gera ten, in eine neue Welt, die aber bitterer war als sei ne alte.
    Von seinen Freunden stand ihm jetzt nur noch Gregor Fedorowitsch Smirnow nahe.
    »Ich kann mir schon denken, was Ihnen passiert ist, Charles«, sagte

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