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»sehr schönen Wagen« entworfen, aber Louise Piëch und Ferry Porsche waren sich einig: Es sei ein Goertz, aber kein Porsche.
Der goertzsche Entwurf war verliebt in die große Geste. Im selben Jahr deklarierte Roland Barthes das Auto zum Äquivalent der großen gotischen Kathedralen und sah in seinem populären und schamlos zitierten Werk »Die Mythen des Alltags« eine große Schöpfung der Epoche, die mit Leidenschaft von unbekannten Künstlern erdacht wurde. Im Stile der Pop-Art betrieb Barthes hiermit die geistige und kulturelle Aufwertung des Fahrzeugs ohne das hypermoderne Pathos der Futuristen. Das von dem französischen Poststrukturalisten besungene Auto, der Citroën DS, bietet alleine mit dem pompösen Kosenamen »Déesse«, die Göttliche, jedweder steilen These einen üppig dimensionierten Resonanzboden. Wie vom Himmel gefallen, erscheint er dem Dichter als superlativisches Objekt: vollkommen neu und ohne Ursprung, glatt, Sciencefiction. Zweifellos war der DS mit seiner stromlinienförmigen Karosserie und der hydropneumatischen Federung ein innovatives Auto, aber er war es auf eine laute, vergleichsweise unsubtile Art. Wie Goertzens Entwurf pflegte dieser Citroën theatralisch über sich und seine innere wie äußere Größe Auskunft zu geben. NEU stand über beiden in wuchtigen, hell erleuchteten Lettern. Es war eine Antithese zum kompakten Funktionalismus und Traditionalismus von Porsche. Die Tüftler in Zuffenhausen und die Familie Porsche fänden es einen absurden Gedanken, dass für Innovation und Neuigkeit ein Geschenk des Himmels nötig wäre. Selbstverständlich hatte jede Innovationeine Vorgeschichte und ein Porsche sollte stets der Tradition seiner Innovationsvorarbeiten Rechnung tragen.
In seinen Memoiren nimmt es Graf Goertz leicht. »Ich fragte mich, ob ich die falschen Instruktionen bekommen hatte – aber wann war ein Briefing schon wirklich perfekt?« Da er noch einen weiteren Entwurf riskiert und »Junior« getauft hatte, musste Porsche zwei Goertz-Ideen ausmustern – »und das war das Ende meiner Zusammenarbeit mit Porsche«, wie der Edelmann fast amüsiert konstatierte. Privat blieb er der Familie Porsche verbunden, wohl auch, weil er für sich reklamierte, Ferdinand Alexander Porsche von der Ulmer Hochschule für Gestaltung in den familiären Betrieb gelockt zu haben.
Mit 22 Jahren kam der von der Waldorfschule in seiner freien Kreativität ermutigte Ferdinand Alexander in die Designabteilung von Erwin Komenda. So prominent Graf Goertz auch gewesen sein mag, die Autorität in der Abteilung blieb Komenda, aber nicht mehr lange. Da Ferdinand Alexander vor seinem Studienbeginn in Ulm ein zweijähriges Praktikum bei Bosch gemacht hatte, fremdelte er nicht bei den stets von technischen Fragen dominierten Gestaltungskonzepten. Im Gegenteil: Der junge Mann ahnte, dass der ästhetische Funktionalismus der Ulmer Schule in den Konstruktionsstuben von Porsche in seiner reinen Form anzutreffen war. Zudem waren der in Ulm gepflegte Intellektualismus und das Theoretisieren seine Sache nicht. Er wollte schaffen, nicht reden. Ein Kollege aus der Modellabteilung namens Heinrich Klie hatte bei Vorarbeiten einige Details angeregt, auf denen Ferdinand Alexander aufbauen konnte und wollte. Es ging um die im Vergleich mit dem 356er hohen Kotflügel und die darin eingelassenen Scheinwerfersowie die strenge Sicke in der vorderen Haube. Der junge Porsche-Enkel war nicht nur souverän genug, die Vorarbeiten aus der Abteilung zu nutzen, er hatte aufgrund seiner Vertrautheit mit diesen Menschen und deren Arbeit von Kindesbeinen an eine gewissermaßen selbstverständliche Zuneigung zu ihnen. Sie arbeiteten in der Firma seiner Familie und waren damit irgendwie auch Teil des Clans, zumindest war dieses Gefühl der Nähe und Vertrautheit auch von Vater Ferry Porsche vorgelebt worden. Für Ferdinand wie Ferry Porsche waren die Mitarbeiter »seine Leut’, seine Familienmitglieder«, wie das Herbert Linge erinnerte, der für seine Lehre noch von Professor Porsche selbst angestellt wurde und der Firma bis zur Pensionierung treu blieb.
Irgendwann hatte Ferry, der lange über die Definition des 356er-Nachfolgers gegrübelt und gerätselt hatte, voller Schrecken erkannt, dass der Weg zu mehr Größe vom gerade etablierten Mythos des kompakten und leichten Sportwagens wegführte. »Wir leben in einer sehr schönen Nische«, wurde Ferry Porsche klar, Limousinen können andere wohl besser, deshalb entschied er sich,
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