911
mitgebrachten Benzin auf, dreht mechanisch am Tacho den Kilometerzähler zurück, wäscht das Auto liebevoll und kann nicht umhin, sowohl den Kofferraum als auch den Motorraum übervorsichtigzu kontrollieren. Er prüft den Ölstand, bevor ihn sein Freund zur Ordnung ruft. Es ist eine erotische Begegnung, die am Anfang des Films steht und dem Film vergleichsweise unsubtil das Thema gibt. Die Handlung erschöpft sich in einer 48-stündigen Suche nach einem Porsche 911, mit dem Marc seine erste Rallye bestreiten kann.
Die rasanten Aufnahmen der meist herbeigeschwindelten Ermächtigungen über einen Elfer werden dramatisiert durch den Soundtrack von Krzysztof Komeda, der kühl und zügig dem Lebensgefühl des Porsche-verliebten Helden eine romantische Seele wie zeitgenössische Modernität verleiht. Die hastig vorgetragenen Monologe des Protagonisten, die hektischen Bewegungen des jungen Exzentrikers, die treibende Musik – nahezu jedes Element des Films gibt ein Versprechen auf die Raserei, das für den Helden nur ein Porsche 911 einlösen kann. Von der Filmkritik seiner Zeit weitgehend unverstanden, macht er den stilsicheren Autoverrückten zum exemplarischen Helden seiner Zeit: ziellos herumirrend. Ein Jahr nach Godards »Masculin – Feminin«, von dem sich Skolimowski die beiden Hauptfiguren (gespielt von Jean-Pierre Léaud und Catherine Duport) geliehen hat, entideologisiert dieser Film die Jugend zu jenem Zeitpunkt, als sie sich in Universitäten und Schulen radikalisiert. Die Figuren in Skolimowskis Film verstehen sich keine Sekunde als politische Subjekte revolutionärer Veränderungen, sondern taumeln als unfreiwillig Sinnsuchende jedem Tiefgang davon.
Fragt man den Regisseur knapp 50 Jahre später, wie er als Pole für einen Film in Belgien auf einen blechernen Hauptdarsteller aus Baden-Württemberg gekommen ist, ist die Antwort ganz einfach: »Der Porsche 911 war für mich zu diesem Zeitpunkt das schönste Auto der Welt.« Zudem warseine Produzentin mit dem Verleger einer großen belgischen Autozeitschrift verheiratet und konnte problemlos nagelneue Sportwagen stellen. Für Skolimowski war der Elfer ein Symbol der Freiheit und der Anarchie, das ihn als jungen Autoverrückten elektrisierte. Auch wenn er sich bettelarm ein Jahr nach Ende des Filmstudiums keinen Porsche leisten konnte, investierte er die Gage für »Le Départ« dann in einen ähnlich emblematischen Sportwagen: einen Ford Mustang. Eine polnische Geste, in der Sehnsucht nach westlicher Freiheit die naheliegende deutsche Variante zu ignorieren, um bei jenem Pony-Car zu landen, das in direkter mythologischer Verbindung zu den Wagentrecks der Wildwestzeit steht. Dass Skolimowski während der Dreharbeiten den Elfer fahren durfte, bereitete ihm großes Vergnügen und bis heute ist ihm der Klang dieser Ur-Elfer im Ohr. Auch sie waren ein wichtiges Element für die filmische Präsenz des Sportwagens, die akzentuiert und dramatisiert wurde durch den Soundtrack seines engen Freundes Krzysztof Komeda.
Umstürzlerisch wirkt der Film dennoch. Wüster Klamauk reißt lustvolle Konventionen ein. Der Held macht vor nichts halt. Er will einen Porsche 911. Es ist sein Schicksal. Er flirtet mit Frauen, die so alt sind wie seine Mutter, verkauft sein Hab und Gut, zerstört Freundschaften und verrät alles und jeden für die Fahrt in einem Porsche 911. Als er mit einer älteren Kundin in deren Mercedes Pagode durch die Nacht fährt, schwärmt er ihr von dem Porsche vor, bis sie beginnt, ihn oral zu befriedigen, um ihn zum Schweigen zu bringen. Die Befriedigung währt nur kurz und schon geht es weiter mit der Suche nach einem Porsche 911 S, wie er seine Sehnsucht konkretisiert. Als Nebenprodukt der Suche nach dem Auto lernt er ein wunderschönes,blondes Mädchen kennen. Sie wird zur treuen Begleiterin seiner Suche.
Skolimowskis Vorbild Jean-Luc Godard nutzt zur selben Zeit den Autoverkehr als Metapher für das Scheitern der westlichen Lebensart: Aus dem Konsum von Mobilität wird in »Weekend« ein Blutbad. Ein Jahr vor der Studentenrevolte zeigt »Le Départ« dagegen eine Jugend, die ihre exzessiven Fantasien von Abenteuer, Luxus und Überschreitung vergleichsweise problemlos ausleben darf. Sie ist antiautoritär, weil die Autoritäten (Chef, Polizei, die Reichen) längst ihren Schrecken eingebüßt haben. Marcs Treiben trägt nicht nur in pubertären Masochismen einen autodestruktiven Zug, wenn sich Marc die Nase blutig schlagen lässt, sich wie ein Protopunk
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