911
Sportwagenvergleich nüchtern: »Der 911 ist von gestern.«
In der Not bediente sich Porsche bei dem von Helmuth Bott entwickelten Über-Porsche, der ab 1986 als 959er in einer Auflage von 292 Stück an Porsche-Fans weltweit verkauft wurde. Der bis zu 339 Kilometer pro Stunde schnelle Porsche war das schnellste Serienfahrzeug der Welt mit Straßenzulassung und war eine rollende Verkörperung dessen, was Porsche-Ingenieure an virtuoser Automobilkunst produzieren konnten. Er kostete damals 420.000 Mark. Für das kommende Porsche-Modell, den 964er, übernahmen die Entwickler den Allradantrieb, das neue Fahrwerk mit Schraubenfedern statt der überkommenen Drehstabfederung. Zudem gab es Tiptronic, Servolenkung und ABS. Der 964er war ein vollkommen neues Auto, aber er war nicht so weit vom Ur-Elfer entfernt wie der 959er. Und da sich die Limousinenhersteller darauf verständigt hatten, ihre sportlichen Überflieger bei Tempo 250 abzuriegeln, korrigierte die Spitzengeschwindigkeit von 260 Kilometern pro Stunde des 964ers die Hierarchie auf der Autobahn. Und beim Autoquartett der Kinder.
Ferry Porsches Zierlichkeitsdoktrin reichte bis zu dem letzten 3,2-Liter-Carrera. Sie verbindet diesen mit dem ersten 356er-Prototyp und damit natürlich mit dem Käfer und den unzähligen Käfervorläufern. Wenn es so sein sollte, dass der Elfer im Carrera 3.2 ganz bei und zu sich gekommen ist und damit in Hegels Worten die erste Stufe der Vollendung hinter sich gebracht hat, dann darf es nichtverwundern, dass es in einem Land mit übergriffiger Metaphysik-Leidenschaft Puristen gibt, die mit dem Carrera 3.2 den Kern ihrer Weltanschauung definieren. Sie betrachten nachfolgende Modelle als Schisma und gedenken nicht, sich darin blicken zu lassen. Der 911er als Sportwagen, der ewig wird und niemals ist, hat bei seinen Nutzern ein unvergleichlich pedantisches Verhältnis zur Tradition produziert. Der erste Elfer gilt als der Gral des Elfertums und somit als Urmeter jener Leidenschaftsgemeinschaft, die im Verlauf der ersten 50 Jahre zivilreligiöse Züge bekommen hat. Sehr heideggerianisch und deutsch erscheint die Weiterentwicklung vom Ursprung hinweg nicht nur als ein Fortschritt, sondern auch ein melancholisch zu betrauernder Verlust. Das Größer-, Schneller-, Breiterwerden des Ur-Elfers wird stets in Abgleich mit den Ursprüngen bewertet. Daher wurden die Mängel und Ungereimtheiten des Ur-Elfers auch zum Charakter und Wesen des Sportwagens umgedeutet. Und je perfekter der Wagen wurde, umso weniger schien er aus Sicht der Traditionalisten dem Mythos gerecht zu werden. Jede auch optische Veränderung galt als Schönheitsoperation an etwas eigentlich Perfektem.
Die Porsches bereiteten durch den Umgang mit ihrer Geschichte eine solch dogmatische Grundstimmung vor. Obwohl Porsche als Unternehmen in den 50er Jahren in einer Zeit maximaler Geschichtslosigkeit erfolgreich wuchs, legten sie von Anfang an auch in der Kommunikation großen Wert auf die Wurzeln ihrer Ingenieurkunst und die Verdienste ihrer Familie um die Weiterentwicklung des Automobils. Dies inkludierte auch die zu dieser Zeit in Deutschland weitgehend verdrängten und ausgeblendeten Nazi-Jahre. So konstruierten sie sich eine Geschichte entlangder Familiensaga, die ihrer jungen Firma früh die Aura des Immer-schon-da-Gewesenen verschaffen sollte. Nur in grellbunten Heimatfilmen hatte die Idylle nostalgischen Charakter, in dörflichen Berggemeinden und auf dem denkmalgeschützten Land. Ansonsten wurde der Gedanke an die Vergangenheit gemieden. Porsche hatte dafür kein Verständnis. Schon wenige Jahre nach der Firmengründung machte der Sportwagenhersteller mit der Unternehmensgeschichte Werbung. Vom Cisitalia über die ersten Volkswagen-Prototypen bis zu dem größenwahnsinnigen Rekordfahrzeug »T 80«, das Ferdinand Porsche für Daimler-Benz entworfen hat, reicht das Spektrum der Wurzeln, welche die Markenkommunikation nutzte, um den 356er als »Summe aller Konstruktionserfahrungen« ausweisen zu können. Genau zehn Jahre später, zur Vorstellung des Porsche 911, wird die Ahnenreihe ausgedehnt: Von der Lohner-Porsche-Chaise (1900) über den Mercedes-Rennwagen für die Targa Florio (1924) bis zum Porsche 904 Carrera GTS wird kaum ein wichtiger Entwurf des Porsche-Clans übergangen. In einer Zeit, in der das Design wie die Popkultur aggressiv geschichtsvergessen handelt, denkt und entwirft, brüstet sich Porsche stolz mit seiner Vergangenheit. Porsche dachte historisch, als sich
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