911
das gute Design ausschließlich für die Gegenwart und noch lieber für eine exotische Zukunft interessierte. Die Firma war damit protopostmodern. War die Postmoderne eine Kultur der Erinnerung, die in der Tradition nicht das sah, was zwanghaft überwunden werden müsse (und wie das noch in der Moderne ideologisch formuliert wurde), bediente sich Porsche dieser Strategie, bevor Architekten und Literaturwissenschaftler daraus das nächste große Ding der Intellektuellen machten. Doch anders als die spielerische Postmoderne,die Tradition – so Wikipedia – als Sammlung von Möglichkeiten verstand, derer sie sich virtuos bedienen konnte, war die Rückbesinnung auf Vorbilder und Wurzeln bei Porsche funktional grundiert. Die Herausforderung war, die Zukunftsfähigkeit des Alten, sei es die Idee des Heckantriebs oder die der Luftkühlung, in Wertschätzung der Tradition bis zum Letzten zu explorieren. Dabei ging es weniger um einen Historismus denn um eine Traditionspflege auf der Höhe der technischen Zeit. Zudem fehlte die in der Postmoderne fast zwanghaft gepflegte Ironie. Die Firma Porsche meinte es ernst, wenn sie in die Archive ging, um die eigene Zukunft besser zu verstehen.
Porsche stand mit dieser Haltung damals ziemlich alleine dar. Die anderen Automarken ließen ihre Sportwagen wie Raumschiffe aussehen. Der Futurismus war die Zeitgeistfolie der 60er und 70er Jahre. Im Design gab es unzählige revolutionäre Vorstellungen von der Zukunft der Objekte und kaum einer wollte sich mit evolutionären Weiterentwicklungen beschäftigen. Der Funktionalismus der Ulmer Schule und des Braun-Designs wurde belächelt. So gesehen riskierte Porsche mit seiner sehr modernen Formensprache und einer ungewöhnlichen Pflege seiner Tradition das Unverständnis der Zeitgenossen.
Der 964er
Allrad, ABS,
Servolenkung
In der zweiten Hälfte der 80er begann bei Porsche eine Talfahrt, die immer schnellerwurde. 1987 Dollarschock, von 3,60 Mark ging es auf 1,80 Mark. Bei 87 Prozent US-Marktanteil war dies für Porsche eine tödliche Entwicklung. Hinzu kam die Angst vor den Japanern. In Amerika war der Accura, der in Deutschland Honda NSX hieß, der neue Angstgegner, der Nissan ZX 300 Turbo trat mit einemKampfpreis an. Der NSX hatte eine Alukarosse, Titan-Doppelquerlenker, variable Ventilsteuerung und vieles mehr zu bieten. Der Elfer hatte zu diesem Zeitpunkt – überspitzt formuliert – noch immer mit Heizungsproblemen und beschlagenen Scheiben zu kämpfen. Da lagen Welten dazwischen. Und der c w -Wert eines G-Modells lag bei 0,40. Das war mehr als bei einem 356er. Da war ein Audi 100 mit 0,30 deutlich besser. Der 911er musste in aller Eile überarbeitet werden. Die Designer nutzten integrierte Stoßfänger und einen glatten Unterboden, um den c w -Wert zumindest auf 0,32 c w absenken zu können. Das führte dazu, dass der 964er mit einer Spitzengeschwindigkeit von 260 Kilometern pro Stunde genauso schnell war wie der 50 PS stärkere Turbo des G-Modells. Das Fahrwerk war eine komplette Neuentwicklung. Aus dem Baukasten stammte der Ex-959er-Allradantrieb, der wiederum eine Ableitung aus den Rallye-Elfern Mitte der 80er Jahre war. Der Carrera 4 mit Allradantrieb war die Ouvertüre zur 964er-Modellreihe. War die Traktion für den Rallyesport zwingend, wenn man siegen wollte, oder notwendig, wenn ein derart übermotorisiertes Ausnahmecoupé wie der 959er ordentlich Traktion bekommen sollte, so erschien einigen Porsche-Puristen der Vierradantrieb für einen normalen Carrera als etwas Übertriebenes und schlimmer noch: etwas Wesensfremdes. Schleudern und (kontrolliertes) Ausbrechen lassen waren bislang Teil des Fahrvergnügens. Das Unwohlsein der Passagiere auf dem Beifahrersitz war für den Piloten mit Händen zu greifen, wenn man in einem G-Modell um die Kurven räuberte, besonders dann, wenn es für den Beifahrer das erste Mal in einem Elfer war. Mit einem Allrad gelang diese Abenteuerbescherung lediglich bei Eis und Schnee. Die Freude über den Drift wurde ersetzt durch das ungläubige Staunen, dass Querbeschleunigungen auch auf feuchten Straßen von derElektronik des Antriebs gemanagt werden können. Anders als einige Elfer-Puristen vermuten, kehrte Porsche damit eher zu seinen Wurzeln zurück, als sie zu betrügen. Es war Ferdinand Porsche, der im Jahr 1900 mit seinem Elektro-Porsche das erste allradangetriebene Fahrzeug bauen ließ. Die Marke hat dann dafür Buße getan – und die Mutter aller Heckschleudern entwickelt, den Porsche
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