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Verglichen mit den Ur-Elfern und den G-Modellen war der 964er ein Sportwagen, der sich im Handling vollständig anders anfühlte und der darüber hinaus noch anders klang. Aus dem Singen und Röhren des Sechszylinder-Boxers war ein Fauchen und Knurren geworden. In Kombination mit ABS machte der Allrad diesen Elfer zu einem nahezu idiotensicheren Auto, wären da nicht die unglaublichen Leistungswerte gewesen, mit denen ein gut eingefahrener 964er verblüffen konnte. Auch ohne Tuning waren die 964er bis zu 290 Kilometer pro Stunde (auf dem Tacho) schnell und konnten damit auch dem Nachfolgermodell auf der Autobahn das Leben schwer machen. »Porsche-PS zählen doppelt«, heißt es unter Porsche-Freunden und dahinter versteckt sich die Gewissheit, dass in Zuffenhausen stets darauf geachtet wurde, dass die im Prospekt wie im Fahrzeugschein ausgewiesenen PS-Zahlen mindestens geliefert wurden, gerne auch eine Scheibe mehr. Das führte dazu, dass es nie zu Enttäuschungen kam, zumindest, was den Leistungswillen des Elfers betraf.
Die Entwicklungsingenieure und Designer hätten gerne noch mehr Innovationen in den neuen Elfer gepackt, aber die Mittel waren in der Krise beschränkt und die Zeit für die Entwicklung knapp. Ein PDK-Getriebe wurde bereits im 944er Turbo und 928er auf der Straße erprobt, aber fürden 964er konnte das nicht mehr eingesetzt werden. Auch beim Produktionsort ging eine lange Tradition zu Ende: Produziert wurde in einem neuen Karosseriewerk, während das G-Modell noch in jenen Hallen gebaut worden war, die einst von der Firma Reutter genutzt wurden.
Der Heckspoiler, der bei Tempo 80 ausfuhr, war ein verblüffendes Detail. Es schützte die Silhouette vor wüsten Spoiler-Entstellungen und bot das Schauspiel einer kraftstrotzenden Metamorphose für diejenigen, die bei Tempo 80 von einem neuen Carrera überholt wurden. Zudem verschaffte es dem Motor mehr Luft zur Kühlung. Die umfangreichen elektronischen Steuerungssysteme und die damit verbundenen Kabelbäume ließen das Gewicht des Elfers sprunghaft anwachsen – auf fast eineinhalb Tonnen. Obwohl der 964er nicht danach aussah, war er ein fetter Elfer, besonders der allradgetriebene. Das Design war eine aerodynamisch optimierte Variation des klassischen Konzeptes. Die alte Architektur der Kabine war geblieben, ebenso wie die wuchtigen Torpedorohre für das Dekolleté. Die geschwollenen Stoßfänger machten den Elfer stämmiger. Für den Designer des 991ers, Michael Mauer, ist der 964er sein Favorit, weil er dank der ausgeprägteren Radlippen satter auf der Straße steht.
Porsche-Historiker Dieter Landenberger bemängelt, dass bei diesem Porsche kaum Teile verbaut wurden, die auch in anderen Porsche-Modellen genutzt wurden. Deswegen kam die Produktion der 964er die Firma teuer zu stehen. Für den Porsche-Fahrer und -Fan Sascha Keilwerth zeigt die Verarbeitungsqualität im Karosseriebereich, dass dieses Modell aus einer Ära kommt, in der es Porsche nicht so gut ging. »Die Karosserie rostet an den Kotflügeln, Windleitblech und Stoßstangen verlieren mit den Jahren ihre Form. DieRücklichter büßen Weichmacher und Farbe ein, sie werden sogar brüchig.« Dennoch kann der 964er mit fast 64.000 Einheiten als Erfolg gelten. Dazu hat das Marketing ab 1990 mit dem beliebten Porsche Carrera Cup beigetragen, aber auch die unglaubliche Variantenvielfalt.
Gab es früher maximal eine Handvoll Varianten für den Elfer, begann mit dem 964er eine umfangreiche Ausdifferenzierung der Produktpalette. Die Kunden konnten wählen zwischen Carrera 4, 2, Turbo, Turbo S, Speedster, Turbolook, RS, ganz zu schweigen von den Sondermodellen wie dem RS America, dem Flachbau und dem »Jubi«, der das Jubiläumsmodell zum 30. Geburtstag war und dem Elfertum ein breitschultriges Denkmal setzte. Das Jubiläumsmodell war im Wesentlichen ein 964 Carrera 4, auf den die Karosserie des Turbos beziehungsweise dessen breite Kotflügel wie Seitenteile aufgesetzt wurden. Auf den Rückenlehnen der klappbaren Rücksitze wurde der Schriftzug 911 eingestickt. Mittig auf der Hutablage plazierte Porsche ein lederbezogenes Böckchen, auf welchem zwei Aluplaketten angebracht waren. Die von außen durch die Heckscheibe sichtbare Plakette zeigt die individuelle Seriennummer des limitierten Sondermodells. Die in den Innenraum gerichtete Plakette zeigt den Schriftzug »30 Jahre 911« in Spiegelschrift, so dass – wie auf der Homepage der »Jubi«-Fahrer und -Freunde zu lesen ist – der Fahrer
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