Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
911

911

Titel: 911 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Poschardt
Vom Netzwerk:
doch der – damals noch halbillegale Clubs und gerade die erste hippe Bar in Mitte betreibende – 26-jährige überlegte lange, ob er sich so ein Auto leisten könne. Nicht finanziell, sondern aus Imagegründen. Seine damalige Freundin riet ab. Wie könne er nur, fragte sie ihn nach der ersten Probefahrt.
    Er zweifelte, war Berlins Mitte damals ein – was Autos und Verkehr betrifft – weitgehend prekäres Dorf, in dem die sozialeKontrolle über die Einhaltung subkultureller Codes und deren politischer Korrektheiten wachte. Nach zwei Wochen war aber klar: Ich will dieses Auto. Er kaufte es und hat es seither nie bereut. Nach diesem Kauf wussten Nachtlebenprofis stets, wo sich Cookie aufhielt; so selten war ein Porsche 911 in diesen Tagen in Berlins Mitte. Schon die Nachricht des Kaufs verbreitete sich in der überschaubaren Boheme in Windeseile. Die Zugewanderten aus München und Stuttgart freuten sich, die Hipster aus Ostdeutschland runzelten die Stirn. Melanie, eine gute Freundin, fragte Cookie beim Bestellen eines zweiten Milchkaffees im Café Bravo spöttisch, ob er mit dem durch ihren Konsum erzielten Gewinn eine Schraube an seinem Elfer bezahlen könnte. Die Anekdote erzählt viel von der Provinzialität, mit der die Protagonisten des Nachtlebens auf jene Lustobjekte außerhalb der Turnschuh-Plattenteller-Mountainbike-Welt blickten. Ein Porsche 911 war verdächtig, auch wenn es nie zu irgendeiner Form des Vandalismus kam.
    Cookie nervte nicht nur die Mitte-Spießer, sondern auch die Porsche-Spießer. Bevor es die Serie »Californication« gab, entdeckte er den Charme maximaler Nachlässigkeit bei der Pflege des Porsche 911. Einmal hatte er das Auto sechs Monate nicht gewaschen und die Leute haben angefangen, lustige Sachen darauf zu schreiben, Grüße, ihre Initialen, geheime Nachrichten. Dann musste der Wagen in die Werkstatt und sein Freund Ralf aka Zodiac hat den Anblick nicht ertragen. Er ließ den Wagen reinigen. Der Porsche musste mehrfach durch die Waschanlage geschickt werden, wie Cookie grinsend erinnert. Doch auch anderweitig unterminiert die Erscheinung seines 964ers die Pedanterie der Porsche-Puristen. Die vordere und die hintere Stoßstange sind meistens zerkratzt, bevor sie Cookie rituell neu lackierenlässt. Der Elfer ist für ihn das ideale Großstadtauto. Es ist klein, wendig – »und du kommst schnell weg vom Fleck und beim Ampelstart bin ich immer der Erste«. Er fährt derart zügig, dass er die Bremsen öfter austauschen muss, als ihm lieb ist. Für die Autobahn ist ihm der Porsche zu laut, selbst für einen, der seine Nächte in der Regel in Lärmgewittern verbringt.

Egalitär im P1: Jeder
(Depp) fährt einen 911er
    Von München hieß es in den späten 80er Jahren, dass nirgendwo so viele Porsches 911 herumfahren wie in der stets feierfreudigen Stadt an der Isar. »Noch vor L. A.« war der Spruch der Porsche fahrenden Strizzis damals und es gab viele Orte, an denen der Elfer so häufig und massiert vorkam, dass ihn etwas Heiter-Gewöhnliches umgab. Der Parkplatz vor dem P1 war so ein Ort. P1, das war eine Diskothek, die am Ende des 20. Jahrhunderts München auf der Partylaune-Welttabelle ganz oben stehen ließ. Ein versauter, lasziver, lauter, unfeiner, großartiger, aufregender Laden, der nie Underground sein wollte, sondern stets der Schuppen, in dem – egal wie – am besten gefeiert werden konnte. In der Oktoberfest-Zeit kamen die Poppermädchen und -jungs in Trachten, unter der Woche jede Menge Models und gepumpte Jurastudenten, Autohändler und Friseusen, FC-Bayern-Stars und Fernsehsternchen. Die Türsteher gingenlegendär hart und lustig zur Sache. Wer sich als Feierprofi und Top-Aufreißer profiliert hatte, durfte immer rein. Bei Frauen half »blond, scharf und nicht sonderlich kompliziert bekleidet«.
    Es war ein Ort einfacher Wahrheiten und als solcher setzte sein Vorhof der Macht auf dem Parkplatz an. Es war der Parkplatz, der untertags zum (von den Nazis erbauten) Haus der Kunst gehörte und ab halb elf jenen Gute-Laune-Priestern, die es zur Liturgie in die marmornen Hallen rief. Bei der Einfahrt in den Parkplatz wurde die Kollekte gesammelt. Wer kleinlich nur zwei, drei oder am Wochenende fünf Mark gab, landete gleich auf einem Abstellplatz. Wer sich großzügig zeigte, zehn oder gar 20 Mark springen ließ, konnte seinen Wagen, sagen wir der Wahrheit halber, seinen Porsche 911 direkt vor der Tür parken. Ab und an gönnte sich jeder Elfer-Fahrer, egal wie peinlich das

Weitere Kostenlose Bücher