911
abgespart« haben. Da wird die Exklusivitätwieder einkassiert und gegen pures Fansein eingetauscht. Porsche distanziert sich von derlei Umtrieben nicht. Das Unternehmen nutzt deren kernigen Charme, um das Vorurteil der Oberschichtsmonokultur zu relativieren. Porsche fahren, aber auch Elfer fahren hat sich abgekoppelt von den Kundenanalysen, die den klassischen Carrera-Käufer als Bestverdiener mit weitgreifenden finanziellen Möglichkeiten sehen. Die Faszination wird durch günstige gebrauchte Porsches ebenso bedient wie durch anarchische Aneignungen des Elfers zum Genuss. Eine Mischung aus Atze Schröder und dem jungen Marc aus »Le Départ« ist Hans in dem deutschen Roadmovie »Ein Freund von mir«. Der Gelegenheitsjobber, gespielt von Jürgen Vogel, weiht Karl, einen hochdekorierten, jungen Versicherungsmathematiker, in die feinen Lebenskünste ein, deren Gipfel das Nackt-Porsche-911-Fahren ist. In dem Film sind es zwei meteorgraumetallic lackierte Carrera 997, in denen der erfolglose Lebenskünstler den erfolgreichen Melancholiker mit seinem Elan vital infiziert. Der Porsche wird nicht zum Fluchtwagen in ein anderes Leben, sondern lediglich zum Transporter jener Genusschancen, die ein gut motorisierter Sportwagen bieten kann. Verlief in den 60er und 70er Jahren die Genusshierarchie von oben nach unten, hat sich dies verdreht. Der bewusst »Proll« Gebliebene versteht das Luxusobjekt möglicherweise besser als jene Schichten, für die der Sportwagen konstruiert war. Auch André Schäfers liebevoller Dokumentarfilm »100 Porsches and me« fängt ein, wie sehr sich der soziale Korridor der Elfer-Besitzer und -Fahrer geweitet hat. Die Krönung dieser Distinktionsflutung ist ein blinder Richter, der auch biologische Grenzen, die eigentlich für den Sportwagengebrauch vorgesehen sind, hinter sich lässt.
Der 993er
Der
schnelle
Neue
Überraschend schnell sah der 964er gegenüber der Konkurrenz alt aus, die Produktion warebenfalls zu teuer. Der Irrglaube des unglücklichen CEO Branitzki, dass ausgerechnet der 964er als der Elfer der kommenden 25 Jahre zu gelten habe, war schnell enttarnt. Die wirtschaftliche Situation war katastrophal. Als Harm Lagaay im April 1989 bei Porsche anfing, begann er sofort die Arbeit an einemNachfolger. Wichtigste technische Innovation wurde die LSA-Hinterachse. LSA steht dabei für »Leichtbau, Stabilität, Agilität«. Die neue Hinterachse kam – wie so oft bei Porsche – direkt aus dem Rennsport und verhinderte das Einfedern des Fahrzeugs beim Beschleunigen. Die 285 PS des Carrera S bedeuteten die letzte Evolutionsstufe der luftgekühlten Sauger-Boxermotoren. Eigentlich, so verrieten es die Lastenhefte der Ingenieure, sollte schon der 993er wassergekühlt werden, doch dafür fehlte Porsche das Geld. Für die unzähligen Traditionalisten war dies ein Glücksfall. Deswegen stehen die Besitzer eines Carrera S in der Hierarchie der 993er-Gemeinde bis heute ganz oben. Für Insider wie Dieter Landenberger gilt der Carrera S oder 4S als der formal schönste 993er.
Das Fahrverhalten des 993ers war ein nächster Schritt hin zu einem SL-verwandten Komfort, wie ihn der 964er schon ansatzweise versucht hatte. Mit diesem Auto konnten Stunden auf der Autobahn abgerissen werden, von Berlin nach Nizza, ohne dass Ohren, Beine oder Arme überstrapaziert wurden. Als Gegengift gegen die drohende Verbequemung kehrte Porsche mit dem 911 GT1 in den Langstreckensport zurück.
Mit dem 993er begann auch die Ära Wiedeking mit Lean Production und Kaizen. »Im Boomjahr 1986 hatte Porsche«, so erinnert sich Wendelin Wiedeking, »mehr als 50.000 Autos verkauft, fast zwei Drittel davon in den USA; im Modelljahr 1993 waren es gerade noch 11.500, ganze 300 in Nordamerika.« Porsche galt als Übernahmekandidat und hätte nicht Ferry Porsche stets betont, dass die Familie einen Verkauf der Firma nicht zulassen werde, die Schlange der Interessenten wäre noch länger geworden. Als Wiedeking 1992 Vorstandschef von Porsche wurde, wollte er die Kosten in den Griff kriegen, das Profil der Firmaschärfen und Produkte wie Märkte entwickeln. »Anders ist besser« hieß das Buch seiner Managerweisheiten, in dem er seine Erfolgsstrategie ziemlich volkspädagogisch verschriftlichte. Schon als Vorstand für Produktion- und Materialwirtschaft brach er mit der Unternehmenskultur, als er die ausschließliche Fixierung auf das Produkt zwar nicht in Frage stellte, aber relativierte. Bis zu Wiedekings Eingriffen wurde die
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