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911

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Titel: 911 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Poschardt
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Ganze werden konnte, die Nummer mit dem VIP-Parken. Untertourig rollte man zum Arrangeur an den ersten Stellplätzen, der einem zeigte, wo man den Carrera hinstellen sollte. Einem Besucher vom Mars oder aus China hätte man den Parkplatz zeigen können und er wäre überzeugt gewesen, dass der Elfer eine Art enger, lauter Volkswagen sei, den man in diesem Land bevorzugt zu Nachtzeiten fahre.
    Verließ der glücklich geravte Porsche-Fahrer irgendwann in der Nacht das P1, bekam er seinen Schlüssel und steuerte ratlos auf die Parkreihen zu, weil dort ein gutes Dutzend schwarzer oder anthrazitmetallic Elfer standen, so dass man oft genug am Falschen versuchte, die Tür zu öffnen. Ein Lacher für den Türsteher im Sommer war auch, wenn die Parkplatzjungs die Schlüssel verwechselten und der Besitzer eines 964 Carrera 4 den Schlüssel eines nagelneuen 993 Turbo bekam und sich drauf und dran machte wegzufahren, bisein Bekannter des Turbo-Besitzers Alarm schlug. Ferraris waren selten am P1. Eine blonde Starnbergerin in einem 348 TS war aufgrund ihres lässigen Einparkens und ihrer angesichts der virtuosen Fahrkünste staunenswerten Jugend für Wochen Gesprächsthema für die aufgedrehten Jungs im P1, die so eine Frau für eine Fata Morgana hielten.
    Vor dem P1 war der Elfer kein besonderes Auto, sondern an manchen Abenden fast das einzige. Er war kein Auto zum Auffallen, sondern zum Dabeisein. Er war eine Fackel des Hedonismus und des Halbseriösen, des Strizzihaften und Sportlichen. Nicht wenige der Partyexperten fuhren Freitagnacht spät nach Hause und luden Stunden später ihre Skier auf den Beifahrersitz, um in die Alpen zu brausen. Es war ein München-Mobil. Der Volkswagen einer wohlhabenden und genussverliebten Stadt, die sich ziemlich selten für ihre gute Laune schämte oder gar entschuldigte.
    Niemand drehte sich auf der Maximilianstraße oder in Schwabing nach einem Elfer um. Niemand außer Touristen. An der Ampel standen oft genug drei Elfer nebeneinander und es wurde im Zweifelsfall gegrinst oder auch herzhaft gegähnt. Im München der späten 80er und frühen 90er Jahre betrat der Elfer die Sphäre des Gewöhnlichen. Es war kein schmerzhafter Prozess, es war ein zwangsläufiger. Es war die Zeit, als Helmut Lang seinen ersten Laden in Deutschland (logischerweise in München) aufmachte und Art-Direktoren und Galeristen aus Hamburg und Berlin nach München flogen, um sich anständig einzukleiden. Es war Münchens Sommer- und Wintermärchen. Der letzte Höhepunkt, bevor alles anfing auszusehen wie das Wohnzimmer von Karl-Heinz Rummenigge und Julia Siegel.
    Im P1 war keine ernstzunehmende Frau beeindruckt von einem Aufschneider, der seinen Elfer mit Schmerzen geleasthatte. Die nach eigenem wie fremdem Bekunden am besten aussehenden Jungs kamen mit dem Skateboard, zu Fuß oder wenig originell mit dem Taxi. Frauen im Elfer waren in der Regel älter als die jungen Frauen, die zu Fuß, mit dem Taxi oder im Golf IV ihrer Freundin kamen.
    Dort, wo Deutschland weit weniger reich, elegant, berühmt oder auch nur selbstbewusst war, erfindet der in Essen-Kray geborene Thomas Schröder eine Kunstfigur namens Atze Schröder, der den P1-Machismo auf den kleinbürgerlichen Ruhrpott-Nenner herunterbricht. Charakter wie Künstler deformieren die Exklusivitätsansprüche, die Porsche einst zum Statussymbol der Adligen, Etablierten und Übererfolgreichen hat werden lassen. Die Lebensmaxime »Gas geben, weil wir hier alle nicht lebend rauskommen«, setzt den Kontrapunkt jenes tief gründelnden Existentialismus, in dem Sportwagenfahrer seit Marinetti und James Dean ihr gefährliches Tun bewundern. Porsche fahren ist ein Witz geworden. Kunstfiguren wie Atze Schröder betonen das und versorgen den Porsche-Mythos mit einer neuen Facette: dem egalitären Luxusgut. Mit den Porsche-Tagen in Dinslaken hat diese wenig akademisch, selten oberschichtige Porsche-Subkultur Anfang des 21. Jahrhunderts ihr eigenes Forum erhalten, das passenderweise am Tag der Arbeit, am 1. Mai, auf einer Trabrennbahn stattfindet. Atze Schröders aus der ganzen Welt kommen in die 70.000-Einwohner-Stadt im Nordwesten des Ruhrgebiets. Es ist laut, fröhlich und ohne jene Standesdünkel. Organisieren tut dies jemand, der Ingo Rübener heißt und der auf dem Heckspoiler seines quietschgelben 964 RS stehen hat: »Immer in Eile Ingo der Geile«. In seinen Worten trifft sich bei ihm die Low-Budget-Szene, mit stolzen Besitzern, die sich ihren Elfer logischerweise »vom Mund

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