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911

911

Titel: 911 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Poschardt
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persönlichkeitsakzentuierten Aufschneidern liegt oft genug in der Ruchlosigkeit, mit der Letztere die Möglichkeiten ihres Sportwagens nutzen, um Angst und Schrecken unter die Mitmenschen zu bringen. Selbstverständlich können Schleicher, Zögerer, Bremser und Blockierer auch kultivierte Porschianer zum Rasen bringen. Doch der Idiotenvorwurf greift schneller im Elfer. Wer im Elfer tobt, bestätigt latent gepflegte Vorurteile über Porsche-Fahrer, denen oft genug unterstellt wird, den Sportwagen zur Kompensation zu kurz geratener Charakter- oder Körpergröße zu benutzen. Der Sportwagen ist ein Fahrzeug, das Strecken zwischen A und B schnell zurücklegen kann. Damit kommuniziert der Elfer-Besitzer auch, dass ihm jede Sekunde seines Lebens kostbar ist und dass er so viel vom Leben genießen will, wie es geht. Die Fahrt ins Büro wäre einfach zu schade, um sie ausschließlich in einem hochmodernen, klimatisierten und geräumigen Auto zu verbringen. Im idealen Fall geht es um den Versuch, möglichst jeden Tag, auch im Berufsalltag, Freude am Leben zu finden. In den USA heißt es: »With a 911 you don’t let the traffic fuck you – you fuck the traffic.«Sascha Keilwerth, der Porsche-Schrauber, -Rennfahrer und -Liebhaber hat es ins Deutsche übersetzt und zivilisiert: »Du hast mit dem Elfer das Auto, mit dem du den Verkehr fährst und nicht dich der Verkehr.« Am Ende hat ein Elferist wie Keilwerth jeden Morgen bei der Ankunft im Büro »das Gefühl, bei der Siegerehrung einer Alltagsrallye auf dem Treppchen ganz oben zu stehen«. Für den FDP-Politiker Christian Lindner, der sich als einer der wenigen Spitzenpolitiker dazu bekennt, Porsche zu fahren, ist der »Elfer nichts für den Alltag, aber für jeden Tag«. Der Sportwagen reife wie Wein mit dem Alter. »Macken und Unpraktisches«, so Lindner, »sehen wir ihm als Ausdruck von Charakter nach.« Die Fahrer tun das auch, weil es auf den eigenen Charakter zurückfallen könnte oder soll.
    Das Ich bleibt bei sich. Es sehnt sich nicht woandershin. Es ist genau da, wo es sein möchte. Natürlich gibt es wohl Tausende, wenn nicht sogar Hunderttausende Fahrer eines Porsche 911, die davon nichts spüren, weil dieses Auto so wie eine Rolex, die blonde Freundin (oder der blonde Ehemann) und der Skiurlaub vor allem Status und Selbstsicherheit bunkern soll. Wie alle Identitätsstifter eignet sich ein Porsche 911 zur Fassadenpflege und Selbsterhöhung auf der Bühne des sozialen Lebens. So wird aus dem Elfer auch ein Unterdrückungsgerät: Es gehört Opfern eines Anerkennungswettbewerbs, der dem Erreichen von Zielen nur mehr gehetzte Minimalerlösung verschafft. Deshalb gelten für den Porsche 911 wie für seinen Fahrer die Regeln der Microfashion: Jedes Detail zählt. Wo ist der Bruch, wo quält die Bruchlosigkeit und addiert Rolex zu Porsche zu dunkelblauem Anzug (beziehungsweise Kostüm) zu lautem Telefonieren an der Ampel? Und was hat der Sansibar-Aufkleber auf dem Heck des frisch gewaschenen Carreraverloren? Ist aus dem Auto von Rebellion, Einzelgängertum und Unangepasstheit die Blechuniform für neureiche Konvention geworden?
    In dem Pixar-Animationsfilm »Cars« ist Sally Carrera ein subtil gebrochener Charakter. Die hübsche Frau wird von einem Baujahr 2002 996 Carrera verkörpert und hat einst in Los Angeles jenes oberflächlich attraktive und schnelle Leben der dortigen Erfolgsmenschen geführt, ohne auch nur einen Moment glücklich zu sein. Deshalb verließ sie den Sonnenstaat Kalifornien und begab sich auf der Route 66 auf eine Reise zu sich selbst. Wegen einer Panne bleibt sie in Radiator Springs liegen und entdeckt den spröden Charme des kleinen Orts. Sie entschließt sich, zu bleiben und dort ein Motel aufzumachen. Sally Carrera ist ein Echo jenes Barbie-Porsche, der, in Weiß und Rosa ausgeliefert, kleinen Mädchen beim Spielen den Weg in die Konventionalität von Rollenvorstellungen und Schönheitsidealen weisen sollte. Der Barbie-Porsche war ein 964er Cabrio, das auf eBay auch gepimpt und mit matter Silberlackierung verkauft wird. Dass Hank Moody exakt jenes Modell nutzt, um es gegen die Biederkeit des WASP-Weltbildes zu wenden, beendet die popkulturelle Engführung als Spießerdekoration, die das Barbie-Spielzeug mit Postern und Werbefilmen propagierte. Sally Carrera träumte einst diesen Barbie-Traum und erfuhr dessen emotionale Limitierung. Das Happyend in »Cars« gerät doppelt romantisch. Der Held Lightning McQueen verliebt sich in Sally und

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