911
Geschichte dieses Sportwagens und ein Wendepunkt. Schon mit dem ersten Remix des 996ers an den Vorderlichtern wurde die Sünde und das Vergehen an der reinen Lehre für alle Gläubigen gebüßt. Porsche gelobte Besserung.
So gesehen hatte der 996er den Identitätskern des Elfers dialektisch gestärkt. Spätestens mit dem Spiegeleier-Aufstand der Porsche-Freunde wurde deutlich, dass dieser Sportwagen, egal was die Produktionszahlen aussagen, den heiligen Kern der Marke verkörpert. Jedes andere Modell profitiert parasitär von der metaphysischen Kraft jenes Produktes, das sich selbst ein ewiges Leben verschafft zu haben scheint. So wie auch der in der Kulturindustrie aufgedunsene und in Maximalentfremdung abseits authentischer Lebensbezüge existierende Superstar seine treuesten Fanclubs und hysterischsten Fans als seine eigenen Gralshüter pflegt, tut dies auch Porsche mit Veranstaltungen, einem anspruchsvollen Classic-Programm und seit 2009 mit einem modernen Museum, das der historischen Besonderheit dieses Unternehmens in besonderer Weise Rechnung trägt.
Glück in der Entfremdung
Auch wenn der Porsche 911 mit dem 996er und dessen massenhafter Verbreitung jede Exotik eingebüßt hat, wenn sein Gesicht selbst in kleineren Städten eine stolze Alltäglichkeit besitzt und die Freude über den Anblick eines Elfers auf ein bescheidenes Maß zurückgegangen ist, so beginnt auch beim tausendsten Start an einem sonnigen, verregneten oder nebligen Morgen mit dem Umdrehen des Zündschlüssels links vom Lenkrad ein Tag gut, egal, was danach kommen mag – vorausgesetzt, der Elfer bleibt auch beim vom Wohlstand und Konsumismus verwöhnten Piloten ein Lustobjekt. In der Konsequenz müsste ein Porsche verkauft werden, sobald die Erregung ausbleibt. Weniger dramatisch wäre es, den Wagen dann zur Rückverleidenschaftlichung in die Garage zu stellen, bis sich die Sehnsucht nach ihm wieder einstellt.
Der morgendliche Berufsverkehr scheidet im anspruchsvollen Segment den stolzen Besitzer glattpolierter Dienstwagen,die neben dem automobilen Luxus auch den eigenen Rang in der Hierarchie verraten. Die Außerordentlichen sitzen Zeitung lesend oder die ersten Telefonate führend im Fond einer Limousine und lassen sich mühelos an die Pforten ihrer Wirkungsstätten rollen. Dazwischen fahren die Autoliebhaber: Männer in seltenen Oldtimern, Frauen in lauten italienischen Cabrios und irgendwo dazwischen der Porsche-911-Fahrer, der weder sonderlich originell noch besonders connaisseurhaft daherkommen will – in der Regel. Die Fahrer der Ur-Elfer und der hocheleganten G-Modelle vielleicht doch ein wenig.
Wer im Elfer ins Büro rollt, will seine Lebenstechnik verfeinern. Sollte jeder Moment kostbar sein, geht es darum, keine Zeit zu verlieren am Morgen, um in Ruhe mit der Familie zu frühstücken. Nicht nur in komfortablen Dienstwagen der oberen Mittelklasse oder Oberklasse fühlt sich der Angestellte oder geschäftsführende Gesellschafter in seiner Berufswelt schon mit dem Verlassen des eigenen Heims angekommen. Die Ergonomie der Sessel, die Funktionalität der Armaturen, die Schnittstellen zu Telefonanlage und Informationstechnologien sind ein Vorspiel auf das Funktionieren inmitten einer Verwertungskette. Die Farben der Limousinen und Kombis fügen sich zu den dunklen Anzügen und Krawatten, den frisch gebügelten Kostümen. Statt des Ich hält das Es den Lenker. Es ist die Zivilisiertheit des gesitteten Treibens der Wirtschaft, die schon auf dem Weg ins Büro sich einstimmt. Eine Porsche-Reklame machte sich in den 90er Jahren über Chefs lustig, die in der adipösen S-Klasse zum Entscheiden rollen. Wir verstehen nicht, wie man sich morgens mit zwei Tonnen Übergewicht ins Büro schieben kann. Die unter Druck Stehenden beginnen ihren Überlebenskampf schonan der ersten Ampel hinter der eigenen Wohnung und wüten ihre Aggression gegen den Rest der Welt auf jedem Stückchen Teer, das zur Beschleunigung taugt.
Im Porsche geht beides: Wüten wie Gleiten. Aber eigentlich gilt, was Porsche seinen Angestellten als Gebot in ihre Dienstwagen klebt, in Rot. »Sie fahren ein Werksfahrzeug und repräsentieren damit die Dr. Ing. h. c. F. Porsche AG. Fahren Sie bitte entsprechend defensiv.« Seit Heinrich Böll und Volker Schlöndorff den Unhold im Porsche 911 vermuteten, gilt der dem Porsche-Fahrer grundgelegte Stilanspruch verschärft für den Alltag im Straßenverkehr. Die Scheide zwischen Elfer fahrenden Porschianern und
Weitere Kostenlose Bücher