911
übernommen. Das neue Armaturendesign wirkte betont postmodern und ein wenig zerknautscht. Als hätte man eine Braun-Anlage in die Stahlpresse gesteckt, um sie auf die Größe eines Toasters zu reduzieren. Es war eine antiklassizistische Geste, die den revolutionären Charakter des 996ers in der Genealogie des Elfers im Innenraum, direkt vor den Augen des Fahrers, herausstreichen sollte.
Die Angst des Traditionalisten wurde bestätigt, dass Traditionslinien abreißen und das Neue den Platz des Bewährteneinnimmt und der Faden aus der Vergangenheit verloren geht. Doch mit Traditionalisten alleine hätte Porsche nicht überleben können. Der Weichzeichner hat ihn weniger besonders gemacht und damit offen für neue Konsumentenschichten, die es gerne etwas weicher und kommoder haben. Ausgerechnet der »falsche« Elfer wird zum bis dato bestverkauften. Spöttisch bemerkte Lagaay Jahre später, wenn das »Spiegelei« 320.000 Mal bestellt wurde, könne die Kantine nicht so schlecht gewesen sein. Um zu dieser sagenhaften Summe zu kommen, hatte Lagaay die »Spiegeleier« vom 996er und Boxster addiert. Aber es stimmte schon. Der 996er war der bis dahin erfolgreichste Elfer aller Zeiten, wenn man nur die Verkaufszahlen betrachtet. Wurden vom Ur-Elfer in zehn Jahren genau 80.100 Exemplare verkauft, konnte Porsche vom 996er in acht Jahren über 175.000 Stück verkaufen.
Der große Bruch III:
der globalisierte Elfer
Der Porsche 996 war das Auto, das zur vollen Gänze unter der Regentschaft von Wendelin Wiedeking entwickelt und produziert wurde. Er holte Experten aus Japan, die die Produktionsprozesse schneller, einfacher und effizienter machen und gleichzeitig das Innovationspotential der Mitarbeiter nutzen sollten. Nachdem Wiedeking das Fließband bei Porsche eingeführt und damit die industrielle Moderne in Zuffenhausen etabliert hatte, reduzierten sich die Montagezeiten für einen Porsche Carrera von 120 auf 76 Stunden. Dabei ging Wiedeking hemdsärmelig zur Sache. Er drohte lautstark mit Entlassung, schrie Mitarbeiter und Managerkollegen an und wurde dabei – so berichten einige Quellen – auch rüde im Ton. Stefan Aust beschreibt in seinem Buch, wie Wiedeking mit der Flex durch die Werkhallen lief und nutzlos herumstehende Eisenregale mit der Flex eigenhändig zersägte. Wiedeking selbst schreibt, dass er vondem japanischen Kaizen-Meister Chihiro Nakao genötigt wurde, vor den Augen seiner Mitarbeiter alle Regale auf die Höhe von 1,30 Meter herunterzusägen, um die Verschwendung des Platzes zur Lagerung von Material zu beenden. Durch die schlanke Produktion sollten Vorratslager überflüssig gemacht werden. Wiedeking und seine japanischen Berater als – so Wiedeking – »Hohepriester der ungeschminkten Wahrheit« drohten an, wiederzukommen und ähnlich rabiat einzuschreiten, falls wieder Kisten den Weg versperren würden.
Als der Porsche 996 ein Jahr nach der Premiere des Boxsters anlief, war die schlanke Produktion bei den Porsche-Mitarbeitern in Fleisch und Blut übergegangen. Fast jeder konnte und wollte sehen, dass die Qualität wuchs, die Arbeit sinnvoller organisiert war und die Verschwendung von Geld und Arbeitszeit vorüber war. Doch dieses japanische Geschenk an Unduldsamkeit gegen jede Form von Ineffizienz hatte auch das Produkt infiziert. Der Porsche 996 wurde der Elfer in Zeiten der Globalisierung. Seine in einigen Aspekten nicht nur unterstellte Charakterarmut war auch das Resultat einer ökonomisierten Betrachtung der identitätsstiftenden Details. Dabei überschritt Wiedeking bei der Modernisierung eine unsichtbare Linie. Dass Elfer und Boxster von vorne zum Verwechseln ähnlich aussahen, war weniger ein Versehen als ein Statement. Die Globalisierung als Einebner von Identitäten hatte die Sportwagenmanufaktur in Stuttgart überrollt. Es ist sicher kein Zufall, dass in dieser Zeit Attac in Frankreich gegründet wurde. Dem Westen wurde klar, mit welcher Wucht die globalisierte Wirtschaft nach dem Ende des Kalten Krieges auf Liebgewonnenes und Vertrautes prallen würde. Die Deformationen waren gewöhnungsbedürftig. Auch wenn der normaleElfer-Fahrer nur in Ausnahmefällen kapitalismuskritisch argumentieren wollte, ahnte er, dass der verschärfte Wettbewerb ein so exotisches Gewächs wie den Porsche 911 und dessen hohe Entwicklungskosten nur überleben lässt, wenn der Markt, auf dem er verkauft werden könnte, wächst. Anfänglich war die Werbung für den Elfer im Fabrikhof von Zuffenhausen fotografiert
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