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911

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Titel: 911 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Poschardt
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entscheidet sich für die attraktivste Erscheinung in Radiator Springs. Dass Sally auf ihrem Heck direkt unter dem Spoiler ein Tattoo hat, verrät, dass es sich eher um eine junge Frau handelt. Ihr im Umgangsdeutschen »Arschgeweih« genanntes Tattoo, im Englischen»tramp stamp«, verdeutlicht aber auch, dass Sally in der Provinz gut aufgehoben ist. Ihre Urbanität ist angelernt. Dieses Tattoo kann auch als Stempel ihrer Entfremdung gelesen werden. In Radiator Springs entdeckt sie sich selbst wieder und verhilft mit ihrer ungewöhnlichen Qualifikation, ihrem Charme und ihrer Intelligenz dem kleinen Ort zurück auf die Erfolgsspur. Sally Carrera beendet ihre Selbstentfremdung, versöhnt inneren Anspruch und Wirklichkeit.

Die Tugend der Ungeduld
    Wenn Sally Carrera einen Rennfahrer ehelicht, verbünden sich zwei Unruhefaktoren. Das passt zum einen gut in die Zeit, in der der globalisierte Kapitalismus die Arbeit verdichtet und den Stress alltäglich werden lässt. Andererseits befinden sich die Tempo-Liebhaber kulturell in der Defensive. 1986 gründet sich im Land der Alfas, Ferraris und Maseratis die Slowfood-Bewegung, 1999 wird im Mutterland der Futuristen die Cittàslow-Bewegung ins Leben gerufen. Entschleunigung wird als hedonistisches Projekt in die tobenden Alltagswelten implantiert. Der Genuss benötigt Zeit. Dazu passt auch die kulturelle Valorisierung von Oldund Youngtimern, bei denen der Fahrgenuss und nicht die Geschwindigkeit im Vordergrund steht. Dennoch bleiben Sportwagen, auch die alten, Symbole und Agenden der Beschleunigung und der Ungeduld. Sie sind Mahnmale gegen die Verschwendung von Zeit und Raum.
    In einer alternden Gesellschaft, die auch aus Gründen des Wohlstands die Segnungen der Entschleunigung zu genießen weiß, erfüllt der Ungeduldige eine wichtige Funktion. Er kündigt den Pakt der Beruhigung und die Wohltemperiertheit der menschlichen Dynamik mit einer Unbeherrschtheit jeder Form der Zeitverschwendung gegenüber. Er ist intolerant gegenüber den von Yoga und Coelho-Lektüren weichgespülten Ausgeglichenen, die nicht zuletzt im Straßenverkehr ihre Dissidenz gegen die Hektik der Zeitläufe ausleben wollen. In Kombination mit einem schlechten Benehmen fällt dem Ungeduldigen im Straßenverkehr eine Funktion der Störung, der Behinderung des Harmonischen und auch der Obstruktion des Behaglichen zu.
    Auch wenn der Porsche aufgrund seiner natürlich anmutenden, biomorphen Autorität wenig überakzentuierte Aggression aufbieten muss, gehört ein zügig bewegter Elfer zum Unruhekapital des Verkehrs. Er ist konstruiert, um Unruhe zu verbreiten und seinen Fahrer dabei möglichst in Ruhe zu lassen. Er hat etwas Beunruhigendes. Die Dringlichkeit liegt nicht in irgendeinem Termin außerhalb des Fahrzeuges und seines Fahrers, sondern sie ist eine existentielle Rastlosigkeit, die Zeitverschwendung physisch nicht ertragen kann. Zügiges Autofahren will die Gesellschaft verändern. Es ist stets auch ein Appell, der umso wirkungsvoller und ansteckender wirkt, je eleganter und taktvoller das Überholen, Bremsen und Beschleunigen geschieht. Die Hatz darf kein manischer Zustand sein, sondern soll stets an der Effizienz der Mobilität gemessen werden. Wo es geht, Fußgängern, Radfahrern oder unsicheren Autofahrern das Überqueren der Straße oder das Einbiegen zu ermöglichen, sollte selbstverständlich sein. Zum Ethos des Schnellfahrens gehört auch, dass die anderen Verkehrsteilnehmer in ihrem Fortbewegungsdrangnie behindert werden. Die Rücksicht auf andere ist eine Wertschätzung deren dynamischer Ansprüche an die Mitwelt.
    Das Rittertum der Überholspur stirbt aus. Tempi jenseits der 200 Kilometer pro Stunde werden nur mehr von einer verschwindend kleinen Schar von Automobilisten als Reisegeschwindigkeit genutzt. Und dies, obwohl mittlerweile auch Kleinwagen und Familienvans Spitzengeschwindigkeiten jenseits der in den 70er Jahren noch geltenden »Schallmauer« erlauben. Noch in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts drängelten sich 5er BMW, Golf GTI mit 16 Ventilen und die großhubigen E-Klassen auf der Überholspur und reizten aus, was die Ingenieure in diesen zunehmend sportlichen Alltagsautos zuließen. Doch der Zeitgeist veränderte sich schnell. Die steigenden Energiekosten waren dabei weniger entscheidend als das Gefühl, dass derlei entschiedenes Rasen ähnlich aus der Zeit gefallen war wie wenig später das Rauchen. Hinzu kam der immer dichtere Verkehr auf den Autobahnen, der insbesondere

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