911
Überholspur eine natürliche Autorität, die sich hochmotorisierte Kombis und Mittelklasselimousinen erst mit Nötigungen und Lichthupereien vergleichsweise ruppig erstreiten mussten. Bis heute gibt es kaum ein Fahrzeug, dem auf der Autobahn so unaufgeregt Platz gemacht wird wie einem Porsche 911.
Der Rennsport prägte die Identität aller Porsches und jene der Elfer in besonderem Maße. Der Sportwagen konnte – in allen möglichen Variationen und Rennversionen – insgesamt über 20.000 Siege beim Motorsport verbuchen und gilt somit als der meistgebaute Rennwagen der Welt. So gesehen ist die Ungeduld des Porsche-Fahrers die säkulare Form der Rennfahrerreligion, stets als Erster ans Ziel kommen zu wollen. Ferry Porsches Entschluss, statt teurer Marketing- und Werbekampagnen auf den Motorsport als Imagefaktor zu setzen, veränderte nicht nur das Selbstbild der Mitarbeiter, sondern verschärfte den Wettbewerbsdruck auf das Produkt. Porsche musste nicht nur auf der Autobahn, sondern auch auf den Rennstrecken siegen können. Das Präfix »Sport« in Sportwagen dröhnt laut und fordernd. Deswegen hingen in Werkstätten ebenso wie in den Schlafzimmern der Fans jene ausführlichen und tabellarischen Triumphplakate, die auflisteten, auf welcher berühmten Rennstrecke und mit welcher Massierung die Elfer erfolgreich gewesen waren. Die Plakate waren der Kontoauszug des Rennsportruhms und eine Versicherung, dassdas Wesen des Elfers, ein Sportgerät zu sein, egal wie kommod er in jenen Jahren wurde, nicht verloren gegangen war. Der Motorsport half bei der Marken- und Kundenpflege. Insbesondere in den USA waren die Mechaniker aus Zuffenhausen, die den exklusiven Kunden zur Verfügung standen, effizientere Verkäufer des Produktes, als es die üblichen Handelsreisenden hätten sein können. »Win on Sunday – sell on Monday« hieß das Motto des Sportwagenhandels. Jeder Sieg eines Porsche führte zu Dutzenden von potentiellen Kunden in Showrooms. Zudem verpflichtete der Motorsport zu weiterer Grundlagenforschung in Sachen Leistung und Haltbarkeit. Der Bergspyder 909 war ein Resultat solch maßloser Forschung am Rande der physischen Möglichkeiten. Dieser Sportwagen, mit dem Porsche 1968 Berg-Europameister wurde, versinnbildlichte die Essenz der Porsche-Lehre: Das Trockengewicht dieses Rennwagens lag bei 375 Kilo. Die Karosserie bestand aus Kunststoff und wurde über ein Aluminiumgitter gelegt. Der Lack war derart dünn aufgetragen, dass er beim Reinigen des Fahrzeugs abging. Die Bremsscheiben des Trainingsbesten waren aus Beryllium. Sie waren teurer als der Rest des Autos – wie sich das Mastermind des Bergspyder, Ferdinand Piëch, erinnert. Der Rennwagen war derart leicht, dass er auch erfahrenen Piloten im Grenzbereich als unberechenbar galt.
»Das kommt dabei raus, wenn man einen Elfer auskocht«, bemerkt Dieter Landenberger nicht ohne Bewunderung, wenn er Gäste zu diesem Museumsexponat führt. In der Tat vollendete dieser Rennwagen jenen Traum des federleichten Fahrzeugs, wie ihn Ferdinand Porsche, Sohn Ferry und besonders intensiv und rastlos der Enkel Ferdinand Piëch geträumt hatte. Um Porsche als Marke und Mythos zu verstehen, lohnt die Meditation vor und Versenkung in denBergspyder. Dieser Rennwagen ist fragil und kühn zugleich, kräftig und verletzlich, wüst und poetisch in einem. Er ist ein extremes Gefährt, rücksichtslos dem Ideal der Schwerelosigkeit verpflichtet. In ihm findet sich kein Gramm Stahl. Er beendet die Gegenwart des damals weitgehend tumben Automobilbaus und blickt weit in die Zukunft mit Materialien wie Titan, Magnesium, Beryllium. Aufgrund seines Gewichts kann der 275 PS starke Achtzylinder das Fahrzeug in 2,4 Sekunden von null auf hundert Kilometer pro Stunde beschleunigen. Bis heute ein Fabelwert.
Als der Ur-Elfer 1965 bei der Rallye Monte Carlo mitfuhr, geschah das eigentlich nur, um zu testen, wie sich der Sportwagen unter extremen Bedingungen bewährte. Die Piloten Herbert Linge und Peter Falk sollten das seriennahe Coupé möglichst heil nach Monaco bringen, um ein paar werbeträchtige Fotos vor dem dortigen Fürstenpalast zu provozieren. Während der Rallye wuchs der sportliche Ehrgeiz der beiden derart, dass für das Fotoshooting am Ende ein fünfter Platz im Gesamtklassement heraussprang und – so heißt es – ein Tobsuchtsanfall von Ferry Porsche, der sich ärgerte, dass man seinem demütigen Auftrag, den Sportwagen unbeschadet und vorsichtig bewegt ans Ziel zu bringen, für
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