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99 Särge: Roman (German Edition)

99 Särge: Roman (German Edition)

Titel: 99 Särge: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Xiaolong Qiu
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war nur eine Frage der Zeit, bis das Forum – ob mit oder ohne Begründung – der Harmonisierung zum Opfer fallen würde.
    Ein Hustenanfall im Nebenzimmer erinnerte ihn daran, dass das nicht seine einzigen Sorgen waren. Noch nie hatte er sich so hilflos gefühlt.
    Er goss sich gerade eine vierte Tasse von dem starken Tee auf – schwarz genug, um seine grauen Haare damit zu färben –, als sein silbergraues Handy klingelte. Seltsam, das war sein privates Telefon, für das er erst vor ein paar Tagen eine neue SIM -Karte gekauft hatte. Nur einige wenige kannten die Nummer, und er würde sie schon bald wieder ändern.
    »Guten Tag, ich würde gern mit Melong sprechen.«
    »Am Apparat. Wer spricht da?«
    »Chen Dao.«
    Die Stimme war ihm genauso fremd wie der Name.
    »Chen Dao«, wiederholte er, ohne dass ihm etwas dazu einfiel.
    »Ihre Freundin Lianping hat mir Ihre Nummer gegeben.«
    »Lianping?« Er kannte sie, aber es war sonst nicht ihre Art, seine Nummer weiterzugeben, ohne vorher zu fragen. Auch erinnerte er sich nicht daran, ihr die neue Nummer gegeben zu haben. »Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten. Wie wäre es mit einer Tasse gutem Tee im Tang Flavor an der Hengshan Lu?«
    Er hatte gehört, dass das Tang Flavor hervorragenden Tee servierte. Außerdem wäre es sicher keine gute Idee, einen Wildfremden zu sich nach Hause einzuladen, wo sie womöglich abgehört wurden.
    »Gut. In etwa einer halben Stunde bin ich da, je nach Verkehr.«
    Pünktlich erschien Melong in dem Teehaus, das wegen seiner Nähe zu einer U-Bahn-Station stets gut besucht war. Was die Gäste aber noch mehr anzog, waren die Snacks, die umsonst zum Tee gereicht wurden.
    Wieder meldete sich sein privates Handy. Diesmal mit einer Textbotschaft.
    »Willkommen. Bin im zweiten Stock, Raum A6.«
    Er stieg die Treppe hinauf, wo ihn eine Bedienung im scharlachroten qipao empfing. Sie führte ihn zu einem der Separees und hielt ihm verbindlich lächelnd die Tür auf.
    Drinnen erhob sich ein Unbekannter mittleren Alters, er trug ein weißes Hemd, den blauen Blazer hatte er über die Lehne eines Mahagonistuhls gehängt. Er streckte Melong die Hand entgegen.
    »Sie sind also Chen Dao?«
    »Chen Cao«, korrigierte der Mann, »von der Shanghaier Polizei.«
    Natürlich kannte Melong den Namen. Er musste sich am Telefon verhört haben.
    »Ich habe befürchtet«, erklärte Chen mit einem entschuldigenden Lächeln, »dass Sie vielleicht nicht kommen würden, wenn ich meine Identität als Polizist preisgegeben hätte. Deshalb habe ich am Telefon nichts dergleichen erwähnt. Ich danke Ihnen, dass Sie sich so kurzfristig freimachen konnten.«
    »Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen, Oberinspektor Chen. Ich habe schon so viel von Ihnen gehört«, sagte Melong und fügte dann hinzu: »Sie ermitteln im Fall Zhou, nicht wahr?«
    »Ich habe auch schon von Ihnen gehört«, entgegnete Chen, ohne auf die Frage einzugehen. »Lianping hat Sie mir als Computerspezialisten empfohlen.«
    Ein normaler Polizist also, keiner von der Internetkontrolle. Aber weshalb wollte der mit ihm reden? Schon ein altes Sprichwort wusste: Betende kommen nicht ohne konkretes Anliegen zum Tempel .
    »Dann kennen Sie Lianping sicher gut. Eine hervorragende Journalistin, allerdings habe ich sie länger nicht mehr gesehen.«
    »Wir haben gestern zusammen zu Mittag gegessen.«
    »Wie schön«, bemerkte Melong. Dann fragte er: »Rauchen Sie?«
    »Hier, nehmen Sie von meinen.« Chen hielt ihm eine Packung Panda hin. »Um das gleich klarzustellen: Die hat mir ein alter Freund geschenkt. Ich selbst kann mir diese Marke nicht leisten.«
    »Keine Sorge, Oberinspektor Chen. Offengestanden sind Sie nicht der erste Polizist, der zu mir kommt, aber Sie sind der erste richtige.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Nun, bisher hatte ich es immer mit der Netzpolizei zu tun, der sogenannten wang guan . Die waren schon vor der Sache mit Zhou und den 95 Supreme Majesty hinter mir her. Genauer gesagt seit dem Tag, an dem ich mein Web-Forum eröffnet habe.«
    »Ja, von denen habe ich auch schon gehört. Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich nicht dazugehöre.«
    Eine Bedienung betrat mit einer großen Teekarte und einer langschnabeligen Kupferkanne den Raum.
    Chen wählte Ginseng-Oolong, und Melong entschied sich für Pu-Erh-Tee aus Yunnan.
    »Genießen Sie den Tee«, sagte die Bedienung, während sie die entsprechenden Teeblätter aus einer Schublade heraussuchte und in

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