AAA - Das Manifest der Macht
und erst einmal die Lage sondieren wollen, bevor Sie juristische Geschütze gegen mich auffahren.“
John zuckte mit keiner Wimper.
„Kommen Sie endlich auf den Punkt“, meinte er nur.
„Seien Sie nicht so ungeduldig.“
Sie griff zu einer Mappe auf ihrem Schreibtisch, klappte sie auf und entnahm ihr nach kurzem Suchen ein einzelnes Blatt Papier.
„Sie wissen, was Ellis Island ist oder, besser gesagt, früher einmal
war?“
Sie schob John das Blatt hin.
„Hier ist die Kopie eines Einwanderungsdokuments, nach dem ein gewisser Johann Marx im Jahre 1954 von England aus über Ellis Island in die Vereinigten Staaten einwanderte und dabei seinen Namen in John Marks änderte.“
John nahm das Blatt in die Hand und studierte es aufmerksam. Dann blickte er Samantha an und zuckte mit den Schultern.
„Was soll das sein?“, fragte er.
„Wissen Sie das wirklich nicht? John, es ist die Einwanderungsurkunde Ihres Vaters, ich habe Geburtsort und -datum abgecheckt. Es gibt keinen Zweifel.“
John schüttelte den Kopf.
„Das Datum stimmt, aber mein Vater, John Marks Senior, war gebürtiger Amerikaner.“
„Ich weiß nicht, was er Ihnen erzählt hat, aber auch das habe ich gründlich recherchiert. Glauben Sie mir, Ihr Vater hat vor 1954 in den USA nicht existiert.“
Wieder schüttelte John den Kopf.
„Schön, mag sein, dass er eingewandert ist und dabei seinen Namen geändert hat. Aber wer sagt, dass er Nachfahre von Karl Marx war? Vielleicht wollte er nur nicht mit den komischen Marx-Brothers in Verbindung gebracht werden.“
„John, bitte, machen Sie sich nicht lächerlich. Und beleidigen Sie nicht meine journalistische Professionalität. Natürlich habe ich weitergegraben und festgestellt, dass 1954 auch noch in anderer Hinsicht ein bemerkenswertes Jahr war. Und wissen Sie, wieso?“
Sie sah Johns fragenden Blick und fuhr fort.
„In eben diesem Jahr 1954 bekam das Grab von Karl Marx, der 1883 auf dem Highgate Cemetery in London beigesetzt worden war, endlich ein Grabmal, und zwar das mit der berühmten Inschrift: WORKERS OF ALL LANDS, UNITE!“ Samantha nahm ein weiteres Blatt aus der Mappe. „Zu dieser Feier lud die Kommunistische Partei Großbritanniens neben ein paar Nachkommen aus Frankreich auch einen gewissen Johann Marx ein, der zu dieser Zeit gerade in London lebte. Hier, sehen Sie.“
Sie reichte John das Blatt.
„Bitte beachten Sie besonders den Satz, wo es sinngemäß heißt: … ist es uns eine Ehre, Sie als einen der letzten Nachkommen des großen Karl Marx einzuladen. Ich glaube, das steht irgendwo in der Mitte.“
John studierte auch dieses Blatt eingehend.
„Vielleicht ist es ja nur eine zufällige Namensgleichheit“, bemerkte er vorsichtig, obgleich er spürte, dass Samantha diesen Einwand mit ihrem nächsten Argument vom Tisch wischen würde.
„Unwahrscheinlich!“, meinte sie und bestätigte so einen Augenblick später seine Befürchtung. „Und noch unwahrscheinlicher, wenn die Anschrift auf der Einladung mit einer der beiden übereinstimmt, die Ihr Vater bei der Einwanderung als seine letzten Wohnadressen in England angegeben hat.“
John wusste nicht mehr, was er sagen sollte. Von einem Tag auf den anderen war seine festgefügte Welt völlig umgekrempelt worden. Noch vor knapp vierundzwanzig Stunden hatte er sich im Triumph der gerade abgeschlossenen Fusion sonnen können, nun hatte ihn eine bislang unbekannte Vergangenheit eingeholt, und eine ungewisse Zukunft lag vor ihm. Wie würde es weitergehen? Konnte er seinen alten Job überhaupt weiter ausüben, in dem er für seine Firma Milliarden bewegt und mit seinem Rat über das Schicksal Hunderter oder Tausender Menschen entschieden hatte?
Er sah Samantha an.
„Also gut, mag sein“, sagte er. „Alles, was Sie mir hier vorlegen, deutet darauf hin, dass ich tatsächlich von Karl Marx abstamme. Ich habe nur noch eine Frage: Warum auf diese Weise und mit der Unterstellung, der Kommunist in mir, den ich quasi genetisch geerbt habe, würde die USA angreifen? Konnten Sie nicht einfach bei mir anrufen und sagen: Hallo, Karl Marx ist Ihr Ur-Urgroßvater? Mussten Sie Ihre tolle Entdeckung gleich an die große Glocke hängen und mich wie einen Trottel dastehen lassen? Was haben Sie sich dabei gedacht? Reden Sie schon! Warum?“
Samantha zögerte, bevor sie antwortete.
„Es gibt mehrere Gründe, John. Zunächst einmal, auch wenn es Sie nicht tröstet: Es ist nichts Persönliches. Sie haben sich nur den falschen Vater
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