AAA - Das Manifest der Macht
rücklings auf das Bett. Während sie die Stuckmuster an der Decke betrachtete, überlegte sie fieberhaft. Zum Ausruhen hatte sie weder Lust noch Zeit. Es trieb sie geradezu, etwas über die Geschichte mit John und Karl Marx herauszufinden. Ihr journalistischer Instinkt, der sie bis zu diesem Zeitpunkt noch in keinem Fall getrogen hatte, sagte ihr, dass da mehr sein müsse, als sie bis jetzt wusste.
Lange hielt sie es im Liegen nicht aus. Sie setzte sich abrupt auf und fasste einen Entschluss.
„Soll John doch die beleidigte Leberwurst spielen und auf seinem Zimmer schmollen, bis er schwarz wird“, sagte sie laut. „Wir sind doch keine siamesischen Zwillinge, dass wir alles gemeinsam machen müssen.“
Sie sprang aus dem Bett und suchte ihre Schuhe, die sie schließlich in zwei entgegengesetzten Zimmerecken fand. Vorsichtig öffnete sie die Zimmertür einen Spalt und spähte hindurch. Auf dem Flur war niemand zu sehen. Sie schlüpfte hinaus, verschloss die Tür hinter sich und fuhr mit dem Lift hinunter in die Hotellobby. Nachdem sie die Gittertüren des Lifts aufgeschoben hatte, warf sie einen vorsichtigen Blick durch die Halle und war beruhigt. Hinter dem Empfang war der Portier mit irgendwelchen Schreibarbeiten beschäftigt, ein Klavierspieler entlockte seinem altehrwürdigen Instrument dezente Barmusik, und in einem der Fauteuils saß ein Hotelgast, der komplett hinter der aktuellen Ausgabe der New York Times verschwunden war, so dass von ihm nur acht Finger zu sehen waren.
Mit einem strahlenden Lächeln legte Samantha ihren Zimmerschlüssel auf den Empfangstresen, was der Portier mit einem charmanten „Merci, Madame!“ bedachte, und wandte sich zum Ausgang. Sie war nur noch wenige Schritte von der Drehtür entfernt, als hinter ihr eine wohlbekannte Stimme ertönte.
„Wo willst du denn hin?“
Samantha stoppte mitten in der Bewegung.„Ben!“, sagte sie,„ich hätte wissen müssen, dass du hinter der Zeitung steckst.“ Sie wandte sich um. Ben grinste sie über die New York Times hinweg an.
„Alter Agententrick“, belehrte er sie, „wenn man jemanden beschatten will. Man schneidet nur heute keine Gucklöcher mehr in die Zeitung.“
Samantha verdrehte die Augen. „Okay, erwischt“, gab sie zu. „Du kennst mich halt zu gut, um anzunehmen, dass ich mich wirklich auf mein Zimmer zurückziehe und Däumchen drehe. Ich kann nun mal nicht untätig herumliegen. Schließlich geht es um meinen guten Ruf als Journalistin, und genau genommen haben wir noch nichts herausgefunden.“
Ben stand auf und faltete die Zeitung zusammen.
„Stimmt! Wir arbeiten eindeutig schon zu lange zusammen. Ich habe das irgendwie gespürt, dass du dich allein davonstehlen willst. Jedenfalls war mir klar, dass du dich nicht in die Badewanne legen würdest. Also, wo gehen wir zwei jetzt hin?“
Samantha lächelte.„Ich hatte vor, die Alte Nationalbibliothek in Paris zu besuchen. Komm, Ben, vielleicht finden wir dort endlich etwas, was uns weiterhilft. Und vier Augen sehen schließlich mehr als zwei.“
„Wieso in die Alte Nationalbibliothek und nicht in die neue Bibliothèque Nationale mit ihren vier Glastürmen, die wie aufgeschlagene Bücher aussehen, und dem schattigen Kiefernwald in der Mitte?“ fragte Ben.
„Weil ich weiß, dass es da die Unterlagen über Marx nicht gibt. Ich habe mich doch vorher bereits erkundigt, mein Lieber. Außerdem sind wir nicht zum Lustwandeln im Park hier, sondern zum Arbeiten. Lass dir das von einer lieben Freundin gesagt sein!“
„Liebe Freundin? Erwartest du noch jemanden?“ Ben stupste Samantha an und lachte fröhlich. Gemeinsam durchquerten sie die gläserne Drehtür und traten nach draußen.
„Hatte ich doch richtig vermutet!“
Samantha und Ben zuckten bei diesen Worten kurz zusammen, fingen sich aber schnell wieder.
„Hallo, John! Wie schön!“, strahlte Samantha. „Du wolltest sicher auch ein wenig frische Luft schnappen, stimmt´s?“
„Falsch geraten!“ Johns Stimme hätte Glas schneiden können.
Samantha biss sich auf die Lippen. Sie hatte John offenbar völlig unterschätzt und keinen Moment damit gerechnet, dass er sie durchschauen würde. Bei Ben war das etwas anderes, der kannte sie seit Jahren und las manchmal in ihren Gedanken wie in einem aufgeschlagenen Buch. Aber dass John sie hier unten auf der Straße abfing, das hatte sie wirklich nicht erwartet.
„Was machst du denn dann hier draußen?“, fragte sie betont unschuldig.
„Darauf warten, wie ihr
Weitere Kostenlose Bücher