AAA - Das Manifest der Macht
Beweis meiner Verwandtschaft mit Karl Marx, liebe Samantha.“
Samantha erwiderte nichts darauf. Aber sie schloss aus der kleinen Stichelei, dass sich Johns Laune in den vergangenen zehn Minuten entscheidend verbessert hatte.
„He!“ Ben deutete plötzlich aufgeregt erst nach vorn und dann aus dem Seitenfenster. Es wurde dunkel im Wagen. „Wisst ihr überhaupt, wo wir gerade hineingefahren sind?“
Samantha sah ihn fragend an. „Nein.“
„In einen Tunnel?“, spekulierte John.
„Natürlich in einen Tunnel, John, aber einen ganz besonderen. Hier ist Lady Di vom britischen MI6 umgebracht worden, und zwar auf Anordnung von allerhöchster Stelle! Da! Da war es!“
Er zeigte auf eine Stelle an der Tunnelwand und verrenkte sich beinahe den Hals, um die Stelle noch möglichst lange zu sehen.
„Sie war nämlich schwanger von diesem Ägypter!“
John musste lachen.
„Richtig. Aber du musst wissen, eigentlich steckte Elton John
dahinter, weil er ‚Candle in the Wind’ neu auflegen wollte.“
„Stimmt!“, ergänzte Samantha. „Und von den Tantiemen hat er seine Brillensammlung erweitert, und geadelt wurde er auch noch.“
„Das ist doch Quatsch!“, widersprach Ben.
„Mindestens so ein Quatsch wie die Geschichte mit dem britischen Geheimdienst“, lachte Samantha, aber als sie sah, dass Ben beleidigt aus dem Fenster schaute, tat er ihr schon wieder leid. Sie mochte ihn, aber manchmal übertrieb er es mit seinen Geschichten über angebliche Verschwörungen und staatlich angezettelte Mordkomplotte.
„Hab’s nicht so gemeint, Ben.“
„Schon gut“, murmelte dieser. Er war es längst gewohnt, mit seiner Sicht der Dinge meist nicht ernst genommen zu werden.
Mehrere wilde Flüche und geballte Fäuste ihres Fahrers später erreichten sie die Alte Nationalbibliothek, ein eindrucksvolles, zweistöckiges Steinensemble aus dem 19. Jahrhundert, dessen jüngste Teile vom Anfang des 20. Jahrhunderts stammten.
„Wir sollten uns aufteilen“, schlug Samantha vor, nachdem sie die Informationsbroschüre studiert hatte.„Am besten ist es wohl, wenn du, Ben, die Mikroverfilmungen der alten Zeitungen aus dieser Zeitphase durchsuchst. Auf jeden Fall schaust du bitte in den Jahrgängen von 1843 bis 1845 nach, der Zeit, als Marx in Paris lebte und arbeitete. Er hat um 1880 auch noch öfter hier gelebt, aber nicht mehr so lange. John und ich nehmen uns die Computerkataloge der Bibliothek vor. Einverstanden?“
Ben nickte erfreut. Er liebte die alten Geräte, in die sich die postkartengroßen Folien, die Mikrofiches, einlegen ließen.
„Wisst ihr überhaupt, dass die Mikroverfilmung eine viel dauerhaftere Konservierung von Schriftstücken ermöglicht, als es die digitale Speicherung jemals können wird?“, fragte er.„Diese Folien halten locker ein paar hundert Jahre und sind dann immer noch lesbar! CDs und DVDs hingegen halten kaum zwanzig Jahre!“
„Wirklich? Unglaublich!“ John war ehrlich beeindruckt.
Ben lächelte stolz, suchte sich ein freies Gerät und begann Folien einzuschieben, die die Ausgaben der Pariser Tageszeitung Le Figaro ab 1843 wiedergaben. Er beschränkte sich darauf, immer nur die Schlagzeilen zu lesen, in der Hoffnung, bei dieser eher oberflächlichen Suche irgendwann auf den Namen Marx zu stoßen.
Samantha und John setzten sich vor zwei benachbarte Bildschirme und begannen mit der Stichwortsuche in den Archiven der Nationalbibliothek.
Die Stille in den Sälen wurde nur ab und zu durch ein Hüsteln hinter vorgehaltener Hand oder das Rascheln von Buchseiten unterbrochen.
Konzentriert durchforsteten sie über eine Stunde die Datenbestände. Samantha schrieb etliche Titel von Büchern oder Fachaufsätzen und deren Standort auf einen Zettel. John folgte ihrem Beispiel, kam aber wegen seiner geringeren Französischkenntnisse nicht so schnell voran wie sie.
Ben ließ sich zwischendurch immer wieder von den antiquierten Werbeanzeigen für Rasierwasser, Bartwichse, den Edisonschen Phonographen und monströs wirkende Damenkorsetts aus Fischbein faszinieren, arbeitete aber tapfer alle Ausgaben des Figaro aus den Jahren 1843 bis 1845 durch.
Karl Marx wurde dort zwar nur ganz vereinzelt erwähnt, doch Ben ließ alle diese Artikel sorgfältig ausdrucken. Von Marx’ Kindern und seiner Frau Jenny war noch seltener die Rede. Es stand da zwar einiges über seine privaten Verhältnisse, wie zum Beispiel, dass Marx zwar Bedienstete hatte, aber fast ausschließlich vom Geld seiner Frau lebte und
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