Aaron: Blutengel Band 2 (German Edition)
Es schien, als kenne er die genauen Hintergründe, sonst hätte er sicherlich gelassener reagiert. Die anfänglich so herzliche Atmosphäre war gekippt, Alessandro stiller geworden.
«Das waren von mir eben reine Spekulationen», versuchte Aaron einzulenken und sein Gegenüber zu besänftigen. Er musste auf eine andere Gelegenheit warten und seinen Mentor dann in die Enge treiben. Alessandros Lippen bildeten noch immer einen schmalen Strich. Aaron schob seinen leeren Teller beiseite und ließ sich von ihm eine weitere Tasse Kaffee einschenken. Vielleicht könnte er noch einen zweiten Vorstoß wagen.
«Was hast du vorhin damit gemeint, die Erleuchtete hätte noch mehr Schuld auf sich geladen?»
Er konnte jetzt nicht locker lassen.
«Sie hat deine Mutter verraten.»
Die vertraute Bitterkeit stieg in Aaron auf. Der Schmerz über ihren Tod glomm wie Glut in seinem Herzen und flammte immer wieder auf.
«Warum hast du mir nicht eher davon erzählt?»
Sein Lehrmeister lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. «Es macht keinen wieder lebendig.»
«Aber sie hätte dafür bestraft werden müssen!»
Aaron schlug mit der Faust auf den Tisch.
«Sie ist tot.»
Tot! Tot! , hallte es in ihm nach. Aaron fiel es schwer, das zu akzeptieren. Plötzlich waren da Zweifel, die er nicht begründen konnte. Als Giorgio wieder hereinkam, um das schmutzige Geschirr abzuräumen, nahm Aaron diese Gelegenheit wahr, sich zu verabschieden und auf sein Zimmer zurückzuziehen. Er musste in Ruhe nachdenken.
18.
«Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub.»
Die Worte des Priesters zogen ungehört an Rebecca vorbei. Ihre Gedanken schweiften zu dem Brief ihrer Mutter ab, den sie einen Tag nach dem Tod ihrer Eltern vom Notar erhalten hatte. Sie wollte und konnte immer noch nicht glauben, dass sie ein Adoptivkind war, selbst als ihr die Adoptionspapiere vorgelegt worden waren.
Ihre Geburtsurkunde gefälscht! Und niemandem war das in all den Jahren aufgefallen! Sie hatte das Gefühl, in das Leben einer Fremden geschlüpft zu sein. Leibliche Mutter unbekannt, leiblicher Vater unbekannt stand da. Ein Rest Zweifel blieb bestehen. Weil sie sich an die Hoffnung klammerte, es möge nicht wahr sein. Doch ihr Leben entsprach einer Lüge. Die Erkenntnis bedrückte sie und machte sie wütend auf ihre Eltern.
Nephilim hatte sie der Fremde am Flughafen genannt und in ihr damit eine Tür geöffnet, die lieber verschlossen geblieben wäre. Rebecca lächelte bitter. Es enttäuschte sie, all die Jahre angelogen worden zu sein. Ihre Gabe, die vielen Umzüge, die spürbare Angst ihrer Mutter, als sie sie auf Gail und Veronica angesprochen hatte, das ergab jetzt alles einen Sinn. Doch die Frage nach ihren wirklichen Eltern konnte auch der Anwalt nicht beantworten.
Aber sie würde es herausfinden. Es schauderte sie bei der Vorstellung, der Spross eines dunklen Wesens zu sein, dessen Seele womöglich Luzifer versprochen war. Ihr Leben war zu einem einzigen Albtraum mutiert.
Rebecca konnte sich noch gut daran erinnern, wie kalt Rosies und Aarons Stimmen geklungen hatten, als sie über die gefallenen Engel gesprochen hatten. Gestern hatte sie Rosies Nummer gewählt und erfahren, dass es die Pension nicht mehr gab. Ihre Hoffnung, Antworten auf ihre Fragen zu finden, hatte sich damit zerschlagen.
Sie schluckte gegen den Kloß im Hals und tupfte mit dem Taschentuch die Tränen weg, die unaufhörlich unter ihren Lidern hervorquollen. Sie sah zu Martin, der mit versteinerter Miene neben ihr saß und gebannt der Predigt zu lauschen schien. Das kurze Haar zurückgegelt, im schwarzen Nadelstreifenanzug sah er sehr distinguiert aus und … unnahbar.
Francesca hatte ihr versprochen, sie bei der Beerdigung nicht allein zu lassen. Doch jetzt lag sie krank im Bett. Dabei hätte sie den Trost der Freundin gut gebrauchen können. Martin würde ihr niemals glauben, dass sie ein Nephilim wäre, er hielte sie womöglich für verrückt.
Trompetenklänge holten Rebecca in die Realität zurück. Martin nahm ihren Ellenbogen und zog sie vom Platz hoch, damit sie für ihre Eltern ein letztes Gebet sprachen, bevor sie die Gruft verließen. Draußen erwartete sie die Trauergemeinde, darunter auch viele Kollegen ihres Vaters.
Wie in Trance schritt Rebecca an Martins Seite an den Reihen vorbei. Alle bedachten sie mit mitleidigen Blicken. Rebecca sehnte sich nur danach, alles schnell hinter sich zu bringen, um mit ihrer Trauer allein zu sein.
Plötzlich
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