Aaron: Blutengel Band 2 (German Edition)
Vermutung aus.
«Was meinst du damit?»
«Bei der Nephilimversammlung, als Cynthia getötet wurde.» Aaron seufzte, während sein Lehrmeister schwieg. «Cyn hinterlässt eine Lücke. Ohne sie wirkt das Engelsghetto wie ausgestorben.»
Alessandros Augen verengten sich zu Schlitzen. Sein Mund verzog sich verächtlich. «Wie konnte sie auch nur zu dieser Versammlung gehen! Einfach nicht an die Folgen denken. Aber sie hat sich immer bedenkenlos auf waghalsige Unternehmungen eingelassen und den Mund oft zu voll genommen.»
Die Kritik und der ungewohnt kühle Ton ließen Aaron aufhorchen. Er hielt mit dem Essen inne und sah seinen Gesprächspartner an. Ein ungutes Gefühl stieg in ihm auf.
«Es war riskant, da stimme ich zu. Cynthia hatte gehofft, die Nephilim überzeugen zu können, den richtigen Weg zu wählen.»
In Alessandros Augen trat ein lauernder Ausdruck. «Hah, überzeugen! Als wenn das so einfach wäre. Hattest du was mit ihr, weil du sie so verteidigst?», fragte er barsch.
«Nein. Cynthia war für uns alle die Seele des Engelsghettos und eine begabte Prophetin.»
Alessandro schnaubte verächtlich. «Begabte Prophetin. Ich glaube nicht mehr an das Geschwätz von Propheten.»
Er lehnte sich mit düsterer Miene zurück und leerte seine Tasse.
«Man kann Cynthia alles mögliche vorwerfen, aber sie war keine Schwätzerin.»
Sie hatte damals in ihrer Eifersucht Tessa an die Dämonen ausgeliefert. Das war niederträchtig gewesen, begründete aber nicht Alessandros negative Haltung allen Propheten gegenüber. Ham gehörte auch zu ihnen, wenn er auch nicht diese ausgeprägte Gabe besaß, die Cynthia in die Wiege gelegt worden war.
«Die wenigsten ihrer Prophezeiungen treffen ein. Ihre Aussagen sind so vage, dass man alles mögliche hineininterpretieren kann. Sie nutzen das nur zu ihrem Vorteil aus. Die Erleuchtete war die Schlimmste von allen. Hat nur Unruhe unter den Nephilim verbreitet, sie verängstigt und sich selbst als die Gute hingestellt. Dabei war sie eine Verräterin.»
«Die Erleuchtete eine Verräterin?»
Aaron hatte von Ham und seinem Vater nur Lob gehört. Die scharfe Kritik aus dem Mund Alessandros überraschte ihn.
«Sie hat ihr eigen Fleisch und Blut verraten», ereiferte sich sein Lehrmeister. Verachtung sprach aus seiner Miene.
«Sie hat ihr Kind verraten? Nach allem, was ich über sie weiß, passt das nicht in das Bild, das ich mir von ihr gemacht habe.»
Ham hatte ihn noch nie angelogen.
«Du kennst doch nur die Version deines Vaters. Sie war eine Blenderin, eine Lügnerin der schlimmsten Sorte. Und ich weiß, wovon ich spreche. Ich kann es bezeugen, denn ich bin damals dabei gewesen.»
«Das ist doch nicht alles?»
«Sie hat sich Seraphiel hingegeben und ihm Zwillinge geboren.»
Hätten die Gewalten davon gewusst, wäre die Erleuchtete getötet worden, bevor die Kinder das Licht der Welt erblickten. Allein der Name seines Erzfeindes ließ Aarons Rachegelüste auflodern. Zorn und Hass brannten aufs Neue in ihm. Dass Seraphiel einen Abkömmling besaß, bedeutete Frevel. Doch gleich zwei! Wie konnten die Engel das zulassen? Hatten alle wirklich nur aus Unkenntnis darüber geschwiegen?
«Zwillinge?»
Kinder aus der Verbindung einer Prophetin mit einem abtrünnigen Seraphim bedeuteten ein unkalkulierbares Risiko, die vereinten Kräfte waren nicht abzuschätzen. Oft war es einem von ihnen möglich, die Seelen verbannter Engel zu befreien und vielleicht noch mehr.
«Ja, mehr weiß ich nicht.»
«Die Gewalten haben die Kinder getötet?»
Alessandro schüttelte den Kopf. «Sie waren bereits tot, als die Engel eintrafen. Deine Mission hat sich in diesem Punkt erledigt. Du läufst einem Phantom hinterher.»
Aaron weigerte sich daran zu glauben. Die Mission beenden, bevor sie richtig begonnen hatte? Warum hatte sein Vater ihn dann darum gebeten, den Nephilim zu suchen? Hatte vielleicht eines der Kinder doch überlebt und sein Lehrmeister wusste nichts davon?
«Und wenn du dich irrst?»
«Ich habe die Leichen mit eigenen Augen gesehen», antwortete sein Mentor im Brustton der Überzeugung.
«Das liegt doch mehr als zwanzig Jahre zurück! Und wenn eines der Kinder doch nicht tot war? Oder vertauscht wurde? Der Verkünder zum Beispiel.»
Alessandro lief rot an, eine Zornesfalte bildete sich auf seiner Stirn. «Das ist doch absurd! Sie sind tot. Tot!»
Aaron erlebte zum ersten Mal einen Gefühlsausbruch des sonst so gelassenen Freundes. Eine Reaktion, die er nicht verstehen konnte.
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