Aaron: Blutengel Band 2 (German Edition)
Nebeneingang. Unzählige Fragen schwirrten in ihrem Kopf.
Vorsichtig lugte sie durch den Türspalt ins Freie. Niemand war weit und breit zu sehen. Was hatte die Fremde gesagt? Ihre Kräfte wären erwacht und sie solle sich auf sie besinnen? Rebecca wusste zwar nicht, wie das ging, aber sie versuchte sich zu konzentrieren.
Sie lief zum Kiesweg zurück, während ihre Augen nach einer verräterischen Bewegung suchten. War da nicht eben etwas gewesen, hinter den Zedern am Rande des Friedhofs? Rebecca stoppte und sah hinüber. Sie hatte sich nicht geirrt. Ein Mann in Jeanskleidung schälte sich aus dem Schatten eines Baumes und blickte der Grauhaarigen mit einem hämischen Grinsen hinterher. Da knirschte der Kies unter Rebeccas Schuhen. Prompt ruckte der Kopf des Mannes herum.
Mist! Der Blick aus seinen roten Augen sprach von Mordlust. Deutlich wie nie zuvor spürte sie die Schwingungen, die wie Schmirgelpapier über ihre Haut schabten. Rebecca rannte wie von Furien gehetzt den Weg weiter. Nur nicht die Nerven verlieren, nicht umdrehen , redete sie sich zu.
Obwohl sie ihn weder hörte noch sah, wusste sie, dass er ihr folgte. Sie umrundete keuchend die Kapelle und prallte mit voller Wucht gegen Martin.
«Rebecca, was treibst du denn hier? Wir haben dich überall gesucht.»
Sie warf einen Blick über die Schulter zurück. Ihr Verfolger war spurlos verschwunden.
«Ich bin der Frau nachgegangen, die vor der Kapelle gestanden hatte.»
Martin hob fragend die Brauen.
«Na die, die ich nicht kannte», erklärte sie weiter.
«Ach, so. Um zu erfahren, wer sie ist? Dafür lässt du mich und die Trauergemeinde stehen? Ich fass es nicht.» Wütend lief er zum Tor zurück.
«Es war wichtig!», rief sie, aber er winkte nur ab. Rebecca eilte ihm hinterher und war froh, dass der Dämon nicht folgte. Ein schriller Schrei ertönte in der Ferne und ließ ihr Herz springen. Die Fremde?
Henry wartete am Tor, um sich zu verabschieden. Martin, noch immer verärgert, stürmte an ihm vorbei zum Wagen.
Henry sah sie fragend an. «Wo hast du gesteckt?», fragte er und es klang mehr nach Besorgnis als Vorwurf.
«Ich bin einem Trauergast nachgelaufen, einer Frau. Sie hat neben dir in der Reihe gestanden. Grauhaarig, feines Gesicht, elegant. Kennst du sie?»
Henry hob die buschigen Augenbrauen. «Eine Grauhaarige?»
«Ja, die die Rosen auf den Sockel der Statue gelegt hat.»
Rebecca zeigte auf die Blumen, die wie Blutstropfen auf dem weißen Marmor wirkten.
Henry wirkte unvermutet nachdenklich. «Nein, ich habe niemanden gesehen. Und eine Grauhaarige, die auf der Trauerfeier gewesen ist, muss ich übersehen haben. Liegt vielleicht daran, dass mir jüngere Semester eher gefallen.»
«Wirklich nicht? Bist du dir sicher? Ich glaube, sie von irgendwoher zu kennen, aber es fällt mir nicht mehr ein. Ich habe das Gefühl, dass sie etwas über meine richtigen Eltern weiß.»
Rebecca entging nicht, wie Henrys Miene sich anspannte. «Lass die Vergangenheit ruhen, Rebecca. Was bringt es dir, deine richtigen Eltern zu kennen? Vielleicht würdest du dir sogar wünschen, dass es besser wäre, nichts über sie zu wissen.»
Der letzte Satz ließ sie aufhorchen. Er wusste mehr, das spürte sie, aber er würde es nicht so ohne Weiteres preisgeben. Sie hakte sich bei ihm ein und schlenderte mit ihm zum Tor.
«Weißt du eigentlich was über diese Engelsskulptur?»
Mit dem Kinn deutete sie zur Gruft. Sie hatte den Köder ausgeworfen und wartete begierig auf seine Antwort. Doch zu ihrer Enttäuschung blieb seine Miene gleichmütig, als er antwortete.
«Ein kitschiges Faible deiner Eltern.»
«Ich dachte, der Engel hätte noch eine besondere Bedeutung für sie», schob Rebecca nach und musterte Henry.
«Welche denn?»
Henrys Blick war offen. Er schien nichts über ihre wahre Herkunft zu ahnen. Vermutlich existierten diese Wesen in seiner Welt nicht. Sie konnte ihn verstehen, denn auch in ihrer hatte es sie vor einer Woche noch nicht gegeben.
«Es ist schon seltsam, dass Dad nie etwas zu dir über die Adoption gesagt hat.»
Henry runzelte die Stirn. «Er hatte sicher seine Gründe dafür.»
Alles glich einer Verschwörung, in die sie gegen ihren Willen hineingezogen worden war. Wenn tatsächlich so viele Nephilim auf der Welt lebten, was wollten die dann ausgerechnet von ihr? Irgendetwas musste doch herauszufinden sein. Bevor Rebecca antworten konnte, hupte Martin vor dem Tor.
«Soll ich dich noch zum Wagen begleiten?», bot Henry ihr
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