Aaron: Blutengel Band 2 (German Edition)
durchflutete sie Wärme. Rebecca stoppte und wandte sich um. Ihr Blick begegnete dem einer Frau mit grauem Haar, die in der hintersten Reihe stand. Rebecca war sich sicher, das Gesicht schon einmal gesehen zu haben. Die feinen Züge hatten etwas Edles. Sie trug das Haar zu einem Dutt hochgesteckt, aus dem sich eine Strähne gelöst hatte. Der Stil ihres schwarzen Kostüms war einfach, aber elegant und zeitlos. Rebecca versuchte sie einzuordnen, aber es wollte ihr nicht gelingen.
Martin deutete mit dem Kinn auf die Fremde, bevor er ihr ins Ohr flüsterte: «Kennst du sie?»
Rebecca zuckte mit den Achseln. «Ich weiß nicht, irgendwas an ihr kommt mir bekannt vor. Wie ist es mit dir?»
«Nein. Vielleicht eine Verlegerin? Bestimmt jemand aus der Literaturbranche», mutmaßte er.
«Vermutlich.»
Nur mühsam löste sich Rebecca vom Anblick der Fremden und schritt mit Martin weiter zum schmiedeeisernen Friedhofstor. Plötzlich wurde ihr schwindlig. Ihre Finger krallten sich in Martins Arm. Doch es war nicht Martin, der sie stützte, als sie schwankte, sondern Henry Buster, der beste Freund und Agent ihres Vaters.
«Mein Gott, Rebecca, das war alles ein wenig viel für dich heute. Du bist so blass.»
«Ich hole besser den Wagen», antwortete Martin und eilte zum Parkplatz.
Rebecca sank erschöpft an Henrys Brust. An seiner Kleidung haftete noch der Geruch von Tabak, der sie schmerzhaft an ihren Vater erinnerte. Die gleiche Marke, die auch ihr Vater geraucht hatte. «Danke, Henry. Das war wirklich alles viel.»
«Ich bewundere deine Stärke, Becky.»
Wenn sie sich doch nur halb so stark fühlen würde. Könnte sie ihm doch nur von ihrem Geheimnis erzählen …
Während sie auf Martin warteten, plauderte Henry mit einem anderen Schriftsteller. Rebecca lief unruhig auf und ab. Für San Francisco war es für diese Jahreszeit schon sehr warm. Sie spürte, wie ihre Lebensgeister langsam zurückkehrten.
Da nahm sie aus dem Augenwinkel einen beweglichen Schatten wahr und sah zur Gruft zurück. Die grauhaarige Fremde stand davor, den Kopf geneigt, als wäre sie tief in Gedanken oder einem Gebet versunken. In ihren Händen hielt sie zwei dunkelrote Rosen, die sie zu Füßen der Engelsstatue legte, die auf einem Sockel neben dem Eingang thronte. Ihre Eltern hatten die marmorne Statue bereits in ihrer Kindheit gekauft.
«Unser Schutzengel», so hatten beide ihn immer lächelnd genannt und den Marmor liebevoll gestreichelt, als wäre er lebendig.
Ein weiterer Beweis dafür, dass sie über ihre Natur Bescheid wussten , kam es Rebecca.
Die düstere Miene des Engels hatte ihr als Kind Furcht eingeflößt, weshalb sie immer einen großen Bogen um ihn gemacht hatte. Lux vel Ignis Dei , das Feuer Gottes. Sie hatte der Gravur auf dem Sockel wenig Aufmerksamkeit geschenkt, weil sie weder Kunst noch Engel interessiert hatten. Doch jetzt würde sie jedem kleinsten Hinweis nachgehen. Mit dem Einzug der Statue ins elterliche Haus hatten das Geflüster und die Albträume begonnen.
Die Frau wandte sich um, als hätte sie ihren Blick gespürt.
«Hallo! Könnte ich Sie vielleicht kurz sprechen?»
Rebecca winkte ihr zu. Die Augen der Fremden weiteten sich erschrocken. Sie stutzte einen Moment, bevor sie sich umdrehte und den Weg entlang eilte, der hinter die Kapelle führte.
«So warten Sie doch!», rief Rebecca. «Ich bin gleich wieder zurück», wandte sie sich an Henry, bevor sie der Grauhaarigen nachlief. Rebecca folgte ihr zur Kapelle. Sie umrundete das Gotteshaus und holte die Fremde auf dem Grasweg zwischen den Plattengräbern ein.
Kurz bevor sie durchs Friedhofstor schlüpfen konnte, packte sie sie am Arm. «Warum laufen Sie vor mir davon? Ich möchte Sie doch nur was fragen.»
Rebecca keuchte genauso wie die Fremde, deren Blick abweisend und ängstlich zugleich war. «Lassen Sie mich los.»
Rebecca zögerte und musterte sie. Wo waren sie sich schon einmal begegnet?
«Lassen Sie mich. Sie hätten mir nicht folgen dürfen. Zu gefährlich.» Die Fremde sah sich ängstlich um.
«Gefährlich? Wieso? Ich verstehe nicht …»
«Es war ein Fehler, ich hätte nicht herkommen dürfen. Aber ich habe den Clancys so viel zu verdanken … und … ich … musste Sie …» Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und sie wandte den Kopf ab.
«Kommen Sie, wir sollten uns irgendwo in Ruhe unterhalten.»
Die Fremde schüttelte den Kopf. «Ich muss jetzt gehen. Sie beobachten uns bestimmt schon.»
Wieder wollte sie wegrennen. Rebecca
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