Aasgeier
der Tankstelle vor ein paar Stunden meinte zwar, wir hätten kein Problem, da durchzukommen, warnte aber auch davor, es bei Ebbe zu versuchen. Das Delta ist ja überwiegend Frischwasser, liegt aber unmittelbar am östlichen Ausläufer der langen, breiten San Francisco Bay, die den Pazifik bis fast nach Sacramento bringt. Wir waren hier also schon von den Gezeiten abhängig, besonders, wenn so ein vergleichsweise dicker Pott wie der Trawler mit verfetteten Herren beladen war. Ich stand also gelegentlich auf den Zehenspitzen und kniff den Hintern zusammen, was im Falle eines Auflaufens zwar nicht hilft, aber vorher ungemein beruhigt.
Am Ufer, keine fünfzig Meter vor uns, parkte ein weinroter Jeep, Verdeck offen, Seitenscheiben heruntergekurbelt, und am gepolsterten Überrollbügel hingen zwei Gewehrfutterale. Zwei Sonnengebräunte im rot karierten Flanellhemden-Jägerlook lehnten rauchend am Auto, verspiegelte Sonnenbrillen auf uns gerichtet und scheinbar mit sich und der Welt zufrieden. Der langhaarige Blonde hob lässig grüßend die Hand. Ich hatte die beiden Frontscheiben der Brücke hochgeklappt, damit der Fahrtwind etwas Kühlung brachte. Die Passagiere im Salon unter mir hatten zwar die Airconditioning-Anlage aufgedreht, aber davon hatten Marisol und ich nichts. Nur das helle Blechdach stand zwischen uns und der Mittagssonne, die aus einem weißlichen, wolkenlosen Himmel herunterstach. Ich winkte also den beiden Waidmännern zu, warf noch mal einen bewundernden Blick auf den hübschen Jeep und konzentrierte mich wieder auf die Fähnchen, die unsere Fahrrinne markierten.
Das Schlimmste war ja nicht der Knall, sondern der Luftzug an meiner Backe. Instinktiv riss ich den Kopf zurück. Marisol saß in ihrem Gartenstuhl und schaute mich fassungslos an. Der zweite Schuss fiel, als ich schon flach lag. Er riss, wie der erste auch, ein Loch in die Holzvertäfelung der Brückenrückwand.
Unter mir war Funkstille. Dann wurde die Salontür aufgerissen, Schritte polterten übers Holzdeck und eine Batterie mittelschwerer Artillerie wurde aktiv. Über dem Geknalle vom Deck wurde vom Ufer her ein Tackern hörbar. Gleichzeitig riss, splitterte, klirrte und kullerte alles, was auf meinem Boot erst vor ein paar Tagen soviel Geld gekostet hatte. Wie ein Schießbudenentchen kam ich mir vor – überall schlug Blei ein. Logisch, dass mein kleiner Chinesencolt unten war, unter der Matratze in der Kapitänskabine, wo er keinem nützt. Ich versuchte, den Zündschlüssel zu erreichen, der einen guten Meter über mir im Armaturenbrett steckte, aber ohne mich aufzurichten kam ich nicht dran. Und aufrichten würde ich mich später. Viel später. Wenn alles wieder ruhig war.
Ein Auto heulte auf, Steinchen spritzten, jemand schoss noch immer mit einem Schnellfeuergewehr auf die unglückliche Miss Lucky und die Herren unter mir ballerten kräftig zurück. Jemand trampelte die Metallstufen zur Brücke hoch, riss die Tür auf und schrie, dass er ein Boot brauche. Zögernd und tief gebückt stieg ich die paar Stufen aufs Deck, half, das Beiboot einzuholen und den Außenborder anzuwerfen, und schon waren zwei der sportlichen Beschützer im Boot und kurvten davon, dem Jeep hinterher. Der sauste das Inselsträßchen entlang zur Brücke hin, die einen Kilometer westlich über den Sacramento führte. Mein Beiboot hielt gut mit. Wenn die Herren Glück hatten, würden sie das Auto noch vor der Brücke einholen. Sie ließen nichts unversucht, es vorher schon zum Halten zu bringen. Das, was auf den fliehenden Jeep verschossen würde, hätte für einen mittleren amerikanischen Eroberungskrieg ausgereicht.
Ich schaute hoch. Marisol stand hinterm Ruder und hielt locker das noch immer im Leerlauf tuckernde Boot in der Rinnenmitte.
Verdammt. Sie stand da, aufrecht, furchtlos, und ich hatte die Hose voll. Ich zitterte am ganzen Körper, so sehr war mir der Überfall in die Knochen gefahren. Aber sie hatte natürlich recht. Die Schießer donnerten mit Höchstgeschwindigkeit über eine miserable Schlaglochstrecke am Inselufer, und es war kaum zu erwarten, dass noch mal einer schießen würde. Trotzdem. Mir war übel vor Angst.
Ich klopfte an die Salontür und rief, dass ich´s sei. Einer rief zurück, ich solle hereinkommen, aber unbewaffnet. Ich hatte eh keinen Colt dabei, also machte ich langsam die Tür auf.
Die dicken Herren lagen alle so flach auf dem teuren neuen Teppich wie sie sich nur machen konnten. Einer schaute
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