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Aasgeier

Aasgeier

Titel: Aasgeier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter J. Kraus
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sprossen zarte, hellgrüne Ästchen. Ihre Blätter raschelten im Wind, Möwen saßen auf einigen der Pfähle und warteten auf das, worauf Möwen warten. Ich kreuzte geduldig in der Flussmitte, denn ich wollte nicht noch auf einen dieser stehen gebliebenen Landungsbrückenreste auflaufen. Der Langhaarige mit der ausgebeulten Jacke stand einige Zeit am Bug mit einem Telefon am Ohr. Ich sah ihn hineinsprechen, dann klappte er es zu, steckte es in die Jackentasche und pfiff zu mir hoch. Als ich ihn anschaute, deutete er auf die Kleinstadt und befahl mir, dort anzulegen.
     
    Ich machte sorgfältig vor dem Bürgermeisteramt in Rio Vista fest. Meine Gäste warteten, bis die Miss Lucky am Steg anlag, und verließen dann im schon vertrauten Gänsemarsch das Schiff. Vier Limousinen standen vorm Pier, und die Herren verteilten sich auf sie. Einer der Brecher nahm mich zur Seite.
    „Du vergisst alles, was du in den letzten Tagen gehört oder gesehen hast. Verstanden?“ Ich nickte. Logisch, verstanden. „Da drüben kommt dein Boot,“ zeigte er auf ein schnell nahendes Etwas, „dein Geld habe ich hier, und mein Chef sagt, für Schaden und Maulhalten soll ich dir noch mal fünftausend geben.“ Ich nickte wieder. Was soll man auch sagen? Er zählte siebzehn Tausender auf den Tisch, ich schob den Packen in meine Jeanstasche, und er ging wortlos von Bord. Seine Kollegen legten an, hüpften aus meinem Beiboot und kümmerten sich weder um mich noch das Boot, sondern justierten choreografiert ihre Säcke, die durch das lange Sitzen in feuchter Luft wohl am Oberschenkel klebten, und gingen mit ihrem Kumpel davon.
     
    Ich schaute hoch. Marisol stand im Radhaus und guckte zu mir herunter. Sie wirkte noch immer etwas mitgenommen.
    „Möchtest du hier etwas essen, oder sollen wir die Stunde nach Locke fahren und dort essen?“ Ich hatte Hunger.
     
    Sie offenbar nicht. „Leck mich am Arsch", sagte sie in ausgesprochen unfreundlichem Ton. Als ich Idiot sie fragte, was denn los sei, war kein Halten mehr. Sie wurde immer lauter. Was mir durchaus nicht recht war, denn abgesehen davon, dass ich ihren verbalen Angriff auf meinen Charakter, meine Zurechnungsfähigkeit und meine offenbar erfolglose Sozialisierung über mich ergehen lassen musste, fürchtete ich dass coltbewaffnete Torwarte irgendwo lauerten, um zu sehen, ob wir nicht doch die Bullen anrufen.
     
    Was überhaupt angebracht wäre. Nicht die Dorfbullen, sondern die Überbullen, für die ich abgehörte Gangstergespräche durch die Nacht schleppen musste. Die sollte ich wirklich anrufen. Natürlich hatte ich keine Kontaktnummer, keine Adresse, keine Ahnung, wo die zu finden waren, aber ich nahm doch an, dass Macmillan noch immer unter der alten Büronummer zu erreichen war. Die ich zwar nicht bei mir hatte, aber jederzeit erfragen konnte.
     
    Andererseits hatte ich nicht die geringste Lust, dem freiwillig weiterzuhelfen. Nach seiner völlig unangebrachten Drohung durfte er keinen Patriotismus erwarten. Konnte allerdings sein, dass er mich vor Wut in den Arsch kniff, wenn er jetzt erfuhr, was hier alles gelaufen ist und dass ich mich nicht gerührt habe. Also doch lieber den goldenen Mittelweg. Nach Locke fahren und dort, vom Hotel aus oder von Marisol, mit seinem Büro sprechen. Da lief ich keine Gefahr, von meinen bisherigen Passagieren beim Spitzeln abgehört zu werden. Mit der entsprechenden Unannehmlichkeit.
     
    Ich beruhigte Marisol, so gut ich konnte. Eigentlich verschob ich nur. „Ich kann jetzt nichts Genaues sagen, Schatz", säuselte ich, "aber glaube mir, ich arbeite für die Guten. Ich bin einer von denen mit dem weißen Hut“, um eine gern verwendete Analogie aus dem Kino-Western zu bemühen. „Sobald es für uns beide ungefährlich ist, erzähle ich dir genau, was los war. Vertraue mir bitte bis dahin.“
    Ich habe selten jemanden so verblüfft gesehen. Sie schaute mit riesigen Augen und O-Mund, schüttelte den Kopf und sagte „ich will nach Hause. Sofort. Und halt´s Maul.“ Das war´s dann, bis wir in Locke anlegten. Sie schnappte ihren Backpack und ging von Bord. Ich rief ihr nach. Sie schaute nicht einmal zurück.

 
     
     
    10 Mitternacht bei Al The Wop
     
     
    Macmillan rief um halb zehn herum an. Ich saß seit Stunden auf heißen Kohlen. Die Speicher hatte ich aus dem Anlasser genommen, hatte alles wieder sorgfältig verschlossen und noch mal geschaut, ob auch der Motorraum normal aussah, etwas ölverschmiert, etwas schmuddelig, die Maschine auf

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