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Aasgeier

Aasgeier

Titel: Aasgeier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter J. Kraus
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Golden Gate und die über sechs Kilometer lange Bay Bridge. Noch immer schlenderten Spaziergänger über die Golden Gate, fuhren Autos in die Stadt oder ins Marin County. Mir fiel ein Stein vom Herzen als ich den dunklen, kalten, endlosen Pazifik erreichte.
     
    Eine Stunde später drehte ich hart nach Süden ab. Der Küstenverlauf war gut auszumachen, weil sich die Menschen in ihren unverschämt teuren Meeresblickvillen nicht trauten, die Beleuchtung auszuschalten. Genauso wenig wie sie die Tore offenließen, die blau flimmernden Fernseher der Überwachungsanlage abdrehten oder die Hunde anleinten. Die Küste leuchtete mir also den Weg, und selbst das einsame Big Sur, diese schroffe Steilküste, die früher stockfinster klarstellte, dass es in Kalifornien doch noch Wildnis gibt, dieses herrliche Big Sur ist inzwischen so ängstlich-teuer besiedelt, dass selbst hier die gelegentliche Villa wie ein Leuchtturm strahlt. Leuchttürme überall, egal, wo man hinkommt. Es gibt keine Einsamkeit mehr.
     
    Der Felsen von Morro Bay war nebelgekrönt, als ich ihn gegen halb zehn Uhr morgens umfuhr. Ich lief zwischen hohen Sandbänken in die lang gestreckte Bucht ein, am betriebsamen Fischereihafen des Städtchens vorbei in die Marschlandschaft. Hier hatte ein Jachthafen aus früheren Zeiten überlebt, als es noch an der Tagesordnung war, Feuchtgebiete wie dieses zu „entwickeln“. Am Besuchersteg legte ich an, ein Riese unter lauter bunten Segelzwergen. Ein forscher Opa im weißblauen Kapitänslook mit Goldtressen am Ärmel und einer Seebärenstimme forderte mich zwar auf, mich zu verpissen, da der Hafen „Gentlemen“ vorbehalten sei und die Berufsschifffahrt weiter vorn in der Stadt anzulegen habe, verzog sich aber, als ich Drohgebärden machte und so tat, als stiege ich von meiner hohen Warte. Ich machte fest und ging rüber ins Cafe, um zu frühstücken.
     
    Bumsvoll war die Bude. Lauter nautisch angetane Senioren. Wie Karneval. Die Herren quer gestreift oder zweireihiger Blazer, die Damen in weiß, wie die Decksjungen auf einem Schulschiff. Nur älter, viel, viel älter. Sie schnatterten, futterten, und gelegentlich warf jemand einen fragenden Blick. Hat wohl nicht jeder einen Trawler.
     
    Ignacio hat mir immer aus der Patsche geholfen, hat immer einen Ausweg gewusst. Seinetwegen bin ich ja bis hier herunter gefahren – obwohl, wenn ich ehrlich sein will, hatte ich leichte Bedenken. Wegen Macmillan, der doch angeblich sein Kumpel war. Sein ehemaliger Bullenkollege, einer, dem er „voll vertraute“, wie er mir damals sagte. Man wird so, wenn die Luft dick wird, glaubt, Messer aus dem Rücken ragen zu sehen, wenn man sich dauernd in der Scheiße wähnt. Man wird misstrauisch.
     
    Ich aß meine Schweinswürstchen mit Ahornsirup und Blaubeerpfannkuchen, trank schwachen braunen Kaffee dazu und überlegte. Anrufen wollte ich nicht. Das war mir doch zu unsicher. Einfach hinfahren? Weiß nicht. Da fiel mir Gonzales ein. Gonzales, der mir inzwischen so krumm vorkam, dass ich ihm fast als Einzigem in diesem ganzen Theater vertraute. Hoch nach King City zu Gonzales – das war die Lösung. Von dort aus mit Ignacio in Verbindung treten. Klar.
     
    Drei Stunden später saß ich Señora G. gegenüber. Frau Gonzales, die nichts wusste, aber alles ahnte. Und deren vorsichtig formulierte Fragen nach dem Befinden meines Freundes Rick vermuten ließen, dass sie sich noch immer an ihn erinnerte. Sehr sogar, wenn mich mein Sexriecher nicht allzu sehr täuschte.
    „Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen, liebe Señora Gonzales,“ schmeichelte ich. „In der Tat haben wir uns dort unten in Baja pudelwohl gefühlt, der Herr Rick, seine Gattin und ich.“ Sie nickte. Ihre Lippen freuten sich, aber ihre dunklen Augen machten klar, dass sie „Gattin“ nicht gern hörte. „Und wenn ich ein besserer Ehemann gewesen wäre, hätte ich jetzt wohl auch noch eine Frau und wäre noch immer zu Hause an unserer kleinen Bucht,“ jammerte ich munter, „aber Sie wissen ja, wie dumm die Männer sind!“ Sie schaute erschrocken ihren Gebieter an, aber der schien nicht zuzuhören. Der nickte nur gelegentlich abwesend und lebte in seiner eigenen Welt.
     
    Ich hatte ihn gebeten, Ignacio anzurufen. Nicht direkt zu sagen, dass ich bei ihm war, aber die Information doch irgendwie rüberzubringen. Er würde das schon schaffen. Was er auch tat. Locker. Ignacio müsste jeden Augenblick eintreffen. Er würde gleich nach dem Mittagessen losfahren, hatte

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