Ab die Post
dass seine anderen Gäste bereits eingetroffen waren. Feucht sah sich im Rest des Raums um und… Ja, dort waren sie, zwei. Warum fiel es solchen Leibwächtern nur immer so schwer, all ihre Muskeln in einem Anzug unterzubringen?
Einer beobachtete die Tür, der andere den Raum, und ohne den Schatten eines Zweifels war ein dritter in der Küche.
… und ja, der Oberkellner verdiente sich sein Trinkgeld, indem er dem großen Mann mitteilte, dass er sich auf angemessene Weise um seine Freunde gekümmert hatte…
… der große Kopf mit der Löwenmähne drehte sich und blickte zu Feuchts Tisch…
… Fräulein Liebherz murmelte: »Bei den Göttern, er kommt hierher!«…
… und Feucht stand auf. Die Leibwächter hielten sich bereit. Hier drin würden sie nichts anstellen, aber es würde auch niemand eingreifen, wenn man ihn schnell und entschlossen fortbrachte, um irgendwo ein Gespräch mit ihm zu führen. Gilt ließ seine verwunderten Gäste hinter sich zurück und kam näher.
Jetzt war seine Menschenkenntnis gefragt, oder sein Geschick beim Sprung durchs Fenster. Aber Gilt musste zumindest den Eindruck von Höflichkeit erwecken. Die Leute hörten zu.
»Herr Reacher Gilt?«, fragte Feucht.
»In der Tat«, sagte Gilt und lächelte ohne eine Spur von Humor. »Aber ich scheine dir gegenüber im Nachteil zu sein.«
»Ich hoffe nicht«, erwiderte Feucht.
»Offenbar habe ich das Restaurant gebeten, einen Tisch für dich zu reservieren, Herr… Lipwig?«
»Hast du das, Herr Gilt?«, fragte Feucht und wusste, dass seine Stimme dabei überzeugend unschuldig klang. »Wir kamen in der Hoffnung hierher, vielleicht einen freien Tisch zu finden, und es gab tatsächlich einen!«
»Dann hat man zumindest einen von uns zum Narren gehalten, Herr Lipwig«, sagte Gilt. »Aber sag mir… bist du wirklich Herr Feucht von Lipwig, der Postminister?«
»Der bin ich, ja.«
»Ohne deine Mütze?«
Feucht hüstelte. »Sie ist nicht obligatorisch«, sagte er.
Das große Gesicht musterte ihn stumm, und dann wurde eine Hand ausgestreckt, die so groß war wie der Handschuh eines Stahlarbeiters.
»Es freut mich sehr, dich kennen zu lernen, Herr Lipwig. Ich hoffe, dass deine Glückssträhne anhält.«
Feucht nahm die dargebotene Hand und rechnete mit einem Knochen zermalmenden Griff. Stattdessen spürte er den festen Händedruck eines ehrenwerten Mannes und begegnete dem ruhigen, ehrlichen und einäugigen Blick von Reacher Gilt.
Feucht hatte hart an sich gearbeitet und glaubte, recht gut zu sein, aber wenn er seine Mütze getragen hätte, wäre er jetzt bereit gewesen, sie abzunehmen. Er stand vor einem wahren Meister. Er fühlte es im Händedruck und sah es in dem einen Auge. Unter anderen Umständen hätte er demütig darum gebeten, als Lehrling eingestellt zu werden, um den Boden des Mannes zu schrubben, für ihn zu kochen, zu den Füßen von Größe zu sitzen und den Drei-Karten-Trick mit ganzen Banken zu lernen. Dieser Mann war der größte Betrüger, den Feucht je gesehen hatte. Und er zeigte es. Das war… Stil. Die Piratenlocken, die Augenklappe, sogar der verdammte Papagei. Zwölfeinhalb Prozent, um Himmels willen, merkte es denn niemand? Er sagte den Leuten, was er war, und sie lachten und liebten ihn dafür. Es war atemberaubend. Wäre Feucht von Lipwig ein Berufskiller gewesen… Es war wie jemanden kennen zu lernen, der ganze Zivilisationen zerstören konnte.
All diese Erkenntnisse kamen in einem Augenblick, in einem Blitz des Verstehens. Doch davor kam etwas anderes, so schnell wie ein kleiner Fisch vor einem Hai.
Gilt war schockiert, nicht überrascht. Keine Uhr konnte jenen kleinen Moment anzeigen, aber für diese kaum messbare Zeitspanne ging die Welt für Reacher Gilt schief. Dieser Moment wurde so geschickt ausgelöscht, dass nur Feuchts unerschütterliche Gewissheit blieb, dass es ihn gegeben hatte.
Es widerstrebte ihm, die Hand loszulassen, denn etwas in ihm befürchtete, dass ein Blitz hernieder fuhr, der ihn bei lebendigem Leib briet. Immerhin hatte er Gilts Wesen erkannt, was bedeutete, dass er mit ziemlicher Sicherheit ebenfalls durchschaut worden war.
»Danke, Herr Gilt«, sagte er.
»Wie ich hörte, warst du so freundlich, heute einige unserer Nachrichten zu befördern«, brummte Gilt.
»Es war mir ein Vergnügen. Falls du jemals Hilfe benötigst, brauchst du nur zu fragen.«
»Hmm«, sagte Gilt. »Heute Abend bist du eingeladen – das ist das Mindeste, was ich tun kann. Die Rechnung wird zu meinem
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