Ab die Post
gewarnt, die so neurotisch waren wie ein rasierter Affe? Eigentlich nicht, denn das Interesse seines Großvaters beschränkte sich auf Hunde und Bier, aber eine solche Warnung wäre durchaus vernünftig gewesen.
Das Bild von Herrn Grützes Brust erschien immer wieder vor seinem inneren Auge. Etwas mit Klauen schien ihn geschlagen zu haben, und nur der dicken Uniformjacke war es zu verdanken, dass sich seine Brust nicht wie eine Muschel geöffnet hatte. Aber das sah nicht nach einem Vampir aus. Sie gingen nicht so blutig zu Werke, denn es liefe darauf hinaus, gute Nahrung zu vergeuden. Trotzdem nahm Feucht vorsichtshalber ein Holzstück, das von einem zerbrochenen Stuhl stammte. Es war gut gesplittert. Und der Vorteil eines Pflocks, der durch ein Herz geschlagen wurde, bestand darin, dass er auch bei Nichtvampiren tödlich wirkte.
Im Saal waren weitere Teile der Decke eingestürzt, aber Feucht konnte den Trümmern ausweichen. Die Haupttreppe befand sich an diesem Ende und war noch vollkommen intakt, obgleich Rauch wie ein Teppich auf dem Boden lag. Auf der anderen Seite des Saals, wo sich die Postberge getürmt hatten, donnerte noch immer das Feuer.
Er hörte die Briefe nicht mehr. Tut mir Leid, dachte er. Ich habe mir alle Mühe gegeben. Es war nicht meine Schuld…
Was jetzt? Er konnte zumindest seine Box aus dem Büro holen. Er wollte nicht, dass sie verbrannte. Einige der Chemikalien darin waren sehr schwer zu ersetzen.
Das Büro war voller Rauch, aber Feucht zog die Box unter dem Schreibtisch hervor und bemerkte dann den goldenen Anzug am Kleiderbügel. Er musste ihn mitnehmen. Man durfte nicht zulassen, dass so etwas verbrannte. Er konnte zurückkehren, um die Box zu holen. Aber der Anzug… Der Anzug war notwendig. Von Tiddles fehlte jede Spur. Er musste das Gebäude verlassen haben. Katzen verließen sinkende Schiffe. Oder waren es Ratten? Aber die Katzen würden den Ratten folgen. Rauch quoll durch die Ritzen zwischen den Dielen und kroch von den oberen Stockwerken herab, und er sollte sich besser beeilen. Er beschloss, an vernünftigen Orten zu suchen – es hatte keinen Sinn, dort zu sein, wo einem Tonnen aus brennendem Papier auf den Kopf fallen konnten.
Es war ein guter Plan, und sinnlos wurde er erst, als Feucht den Kater im Saal sah. Er beobachtete ihn interessiert.
»Tiddles!«, rief er und bedauerte es sofort. Es war ein so dummer Name, um ihn in einem brennenden Gebäude zu schreien.
Der Kater warf ihm noch einen letzten Blick zu und lief davon. Feucht fluchte, eilte ihm nach und sah, wie er nach unten in Richtung Keller verschwand.
Katzen waren intelligent. Wahrscheinlich gab es einen anderen Ausgang… Ja, bestimmt…
Feucht sah nicht einmal auf, als er oben das Knacken von Holz hörte, lief los und nahm fünf Treppenstufen auf einmal. Nach den Geräuschen zu urteilen schmetterte ein großer Teil des ganzen Gebäudes direkt hinter ihm auf den Boden, und Funken heulten in den Keller hinab und verbrannten ihm den Nacken.
Ein Zurück gab es jetzt nicht mehr. Aber in Kellern gab es schließlich Klapptüren und Kohlerutschen und so. Und sie waren kühl und sicher und…
… genau der richtige Ort, um seine Wunden zu lecken, nachdem man einen Nadelbeutel in den Mund bekommen hatte. Phantasie kann manchmal schrecklich sein.
Ein Vampir, hatte sie gesagt. Und Stanley hatte von einem »großen Vogel« gesprochen. Stanley, der mit einem Nadelbeutel Vampire in die Flucht schlug. Man konnte es nicht glauben – bis man das erlebt hatte, was Herr Grütze seine »Kleinen Momente« nannte.
Wahrscheinlich konnte man einen Vampir mit Nadeln nicht töten …
Und nach einem solchen Gedanken begreift man: Wie sehr man auch versucht, hinter sich zu blicken, es gibt immer ein »hinter dir«, das man nicht sieht. Feucht presste sich mit dem Rücken an die kalte Steinwand und schob sich daran entlang, bis ihm die Wand ausging und er einen Türrahmen bekam.
In der Dunkelheit sah er das matte blaue Glühen der Sortiermaschine.
Als Feucht in den Raum mit der Maschine blickte, erkannte er auch Tiddles. Der Kater hockte unter dem Sortierapparat.
»Das ist eine typische Katzensache, die du da machst, Tiddles!«, sagte Feucht und starrte in die Schatten. »Bitte komm zu Onkel Feucht.«
Er seufzte, hängte den Anzug an ein Brieffachgestell und ging in die Hocke. Wie lockte man Katzen an? Solch einer Aufgabe hatte er sich nie zuvor stellen müssen. Katzen kamen in Großvaters Lipwigzer-Hundehütten höchstens als
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