Ab die Post
Wähler…
Feucht suchte nach einem Ausweg, aber die Erinnerungen an ein bestimmtes Gespräch kehrten zurück und glitten in seinem Gehirn hin und her.
Stell dir ein Loch vor, dreißig Meter tief und voller Wasser.
Stell dir die Dunkelheit vor. Stell dir ganz unten eine menschenähnliche Gestalt vor, die in der nassen Finsternis alle acht Sekunden einen Schwengel betätigt.
Pumpen… pumpen… pumpen…
Zweihundertvierzig Jahre lang.
»Hat es dir nichts ausgemacht?«, hatte Feucht gefragt.
»Möchtest Du Wissen, Ob Ich Einen Groll Hege, Herr Lipwick? Ich Habe Doch Nützliche Und Notwendige Arbeit Geleistet! Außerdem Hatte Ich Viel Zum Nachdenken.«
»Ganz unten in einem dreißig Meter tiefen und mit schmutzigem Wasser gefüllten Loch? Worüber hast du nachgedacht?«
»Übers Pumpen, Herr Lipwick.«
Und dann hatte es aufgehört, berichtete der Golem, und mattes Licht war gekommen, und man hatte ihn nach oben gezogen, in die Welt aus Licht und Farben… und anderen Golems.
Feucht wusste etwas über Golems. Man hatte sie vor tausenden von Jahren aus Ton gebrannt und mit einer Art Schriftrolle im Kopf zum Leben erweckt. Sie nutzten sich nie ab und arbeiteten die ganze Zeit. Man sah sie beim Fegen oder auf Bauhöfen und in Gießereien schwere Arbeit leisten. Die meisten von ihnen sah man gar nicht. Sie sorgten dafür, dass sich die verborgenen Räder drehten, unten im Dunkeln. Weiter reichte Feuchts Interesse an ihnen nicht. Sie waren, fast per definitionem, ehrlich.
Doch jetzt befreiten sich die Golems. Es war die ruhigste und sozial verantwortlichste Revolution in der Geschichte. Sie waren im Besitz anderer, und so sparten sie und kauften sich.
Herr Pumpe kaufte seine Freiheit, indem er die von Feucht beschränkte. Man konnte sich ziemlich aufregen, wenn man darüber nachdachte. So sollte Freiheit eigentlich nicht funktionieren.
Lieber Himmel, dachte Feucht, wieder im Hier und Heute, kein Wunder, dass Grütze die ganze Zeit Hustenbonbons lutscht, man erstickt ja regelrecht in all dem Staub!
Er griff in die Tasche und holte die rautenförmige Pastille hervor, die ihm der Alte gegeben hatte. Sie sah harmlos aus.
Eine Minute später, nachdem Herr Pumpe hereingewankt war und ihm schwer auf den Rücken geklopfte hatte, klebte die dampfende Pastille an der gegenüberliegenden Wand, wo sie bis zum Morgen recht viel Putz auflöste.
Herr Grütze nahm einen Löffel voll von der Tinktur aus Rhabarber und Cayennepfeffer, um die Atemwege freizuhalten, und vergewisserte sich, dass er noch immer den toten Maulwurf um den Hals trug, der plötzlich angreifende Ärzte abwehren sollte. Es war allgemein bekannt, dass Ärzte einen krank machten. Natürliche Heilmittel, die halfen jedes Mal, keine höllischen Heiltränke aus wussten die Götter was.
Er schmatzte genießerisch. An diesem Abend hatte er seine Socken mit frischem Schwefel gefüllt, und er fühlte, wie gut ihm das tat.
Zwei Kerzenlaternen glühten in der samtenen, papierenen Dunkelheit der zentralen Sortierstelle. Das Licht schien durch die mit Wasser gefüllten Außengläser – die Kerze sollte erlöschen, wenn sie fiel. Dadurch sah das Licht der Laternen aus, als käme es von sonderbaren Fischen in den eisenharten Krakentiefen des Meeres.
Es gluckerte leise in der Dunkelheit. Grütze stöpselte die Flasche mit dem Elixier zu und besann sich wieder auf seine Pflicht.
»Sind die Tintenfässer gefüllt, Postbotenlehrling Stanley?«, intonierte er.
»Ja, Junior-Postbote Grütze, bis zu einem Drittel eines Zolls von oben, wie es die Schaltervorschriften des Postamts verlangen, Abschnitt tägliche Regeln, Regel C 18«, sagte Stanley.
Es knisterte, als Grütze in dem großen Buch blätterte, das vor ihm auf dem Pult lag.
»Darf ich das Bild sehen, Herr Grütze?«, fragte Stanley begierig.
Grütze lächelte. Es war Teil der Zeremonie geworden, und er gab die Antwort, die er immer gab.
»Na schön, aber dies ist das letzte Mal«, sagte er. »Es ist nicht gut für dich, zu oft das Antlitz eines Gottes zu sehen. Oder andere Teile.«
»Aber du hast mir erzählt, dass eine goldene Statue von ihm im großen Saal stand, Herr Grütze. Die Leute müssen ihn ständig angesehen haben.«
Grütze zögerte. Stanley war ein Heranwachsender. Früher oder später musste er Bescheid wissen.
»Ich schätze, die Aufmerksamkeit der Leute galt weniger dem Gesicht«, sagte er. »Ihre Blicke galten vor allem den… Flügeln.«
»An der Mütze und an den Fußknöcheln«,
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