Ab ins Bett!
Alice ausgezogen und wohnt jetzt in Finsbury Park. Dummerweise nahm sie die Wohnung, ehe sie den Job als Assistentin des Designers in einem kleinen Modehaus in Baiham fand, so daß sie jetzt jeden Tag eine Alptraumreise zur Arbeit hat. So was wie Kompromißbereitschaft hat sich inzwischen in unsere Beziehung geschlichen: Dina ist doch noch mit mir in die Loftus Road gekommen, und ich bin mit ihr zu The Ministry of Sound gegangen. Ich weiß nicht, wer welchen Ausflug weniger genoß: Die Queens Park Rangers verloren 1:0 gegen Southhampton, dank Matthew Le Mesurier, und mitten in dem endlosen A Guy Called Gerald-Song stapfte Dina wütend aus The Ministry, weil sie merkte, daß ich die ganze Zeit meine Wachsstöpsel in den Ohren hatte. Trotzdem zieht sich ein engerer Kreis um uns. Ich merke mehr und mehr, wie ich ohne Hintergedanken an ihre Schwester auf sie reagiere; und, vernünftig betrachtet, bedeutet diese Tatsache, plus Dinas Kompliziertheit, ihrem Sarkasmus, ihrer Rätselhaftigkeit und ihrer Haut, daß ich wahrscheinlich besser zu diesem ruppigen, schwierigen Wesen passe als zu der ausgeglichenen Alice. Aber mit Vernunft an Liebesgeschichten zu gehen, ist wohl das allergrößte Klischee: Wir alle wissen, wenn sich der liebeskranke Held mit all seiner Vernunft: einredet, daß er mit Y besser fährt, dann ist es das sicherste Zeichen dafür, daß er eigentlich X will. Aber im wirklichen Leben gibt es doch so was wie einen Gradmesser, und das ist der Unterschied zwischen Realität und Fantasie. Ich weiß jetzt, daß es dumm ist, meine Gefühle für Dina mit denen für Alice zu vergleichen, denn sie sind in völlig verschiedenen emotionalen Abteilungen untergebracht. Wenn ich Alice sehe, durchbraust es mich jedesmal, daß ich sofort in Tränen ausbrechen will. Aber ich bin kein Idiot und weiß: daß mir das bei Dina nicht passiert, hat eine Menge damit zu tun, daß ich mit Dina zusammen bin. In gewisser Hinsicht, zumindest.
Außerdem: Inzwischen haben wir uns auch erfolgreich ein Video angeguckt. Abgeschreckt durch die Beaches- Katastrophe, holten wir uns Während du schliefst, wo es, wie sich zeigte, um eine Frau geht, die einen Mann liebt und sich dann in seinen Bruder verliebt; sich den Film in Ben und Alices Gegenwart anzugucken, wäre also potentiell genauso heikel gewesen wie Hannah und ihre Schwestern. Aber vielleicht ist es ja ein Zeichen dafür, was sich alles verändert hat, daß mir die Brisanz des Szenarios erst aufging, als Dina mir längst die Tränen getrocknet und »Schon gut, schon gut« gesagt hatte. Der einzige dunkle Fleck am Horizont unserer Beziehung ist Dinas Frauenproblem, das wieder angefangen und unsere sexuellen Aktivitäten zum Stillstand gebracht hat, etwas, womit ich auf Dauer nicht zurechtkomme. Aber sogar diese Wolke hat vielleicht ihren Silberstreifen: Wir hatten jetzt drei Monate lang ziemlich regelmäßig Sex und waren wahrscheinlich kurz vor dem Punkt, wo sich Neuheit, Spiel und Entdeckerfreude abzunutzen drohten, und wenn wir jetzt eine kleine Pause machen, wenden wir das vielleicht ab.
Eins ist allerdings erstaunlich, ich schlafe ein bißchen besser, und, so ungern ich es zugebe, der Fortschritt fing mit der Sitzung bei Alison Randolph an. Verstehen Sie mich nicht falsch, von wie ein Stein kann keine Rede sein, aber das Frühmorgenwachsein ist entschärft - es überfällt mich jetzt nur noch an einem von vier Morgen statt wie vorher jeden -, und ich glaube, ich schlafe auch ein klein bißchen schneller ein: So ganz sicher bin ich mir nicht, weil ich nicht mehr wie besessen versuche, meine Schlafzeiten auf die Sekunde zu kalkulieren. Aber irgendwie habe ich den dunklen Verdacht, daß ich neulich gegen eins ins Bett ging, gegen zwei einschlief und gegen zehn wach wurde: die magischen acht Stunden! Aber es ist ein wirklich komisches Gefühl, ausgeruht und mit frisch geputztem und gewartetem Hirn aufzuwachen. Ich weiß nicht, ob ich damit klarkomme. Ich glaube, mir morgens meinen Kaffee zu machen, gelingt mir nur aus einem somnambulen Nebel heraus.
Die erste dunkle Ahnung, daß mein Leben seine Blütezeit gestern hatte, hing, wer hätte das gedacht, mit Nick zusammen. Auch mit ihm schien’s bergauf zu gehen. Er hatte sein Chlorpromazin abgesetzt, auf Frans Rat natürlich. Zuerst war ich stinksauer darüber, beruhigte mich aber dann mit dem Gedanken, daß es beträchtlich weniger Hin- und Herschleppen seines komatösen
Schwergewichts bedeutete. Bis heute hätte ich gesagt, daß es
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