Ab ins Bett!
ernst genommen. Kennen Sie das, wie man seinen Fantasien immer ein bißchen Glauben schenkt, so als könnten sie Wirklichkeit werden? Der arbeitslose Schauspieler, der mit Träumereien von seiner großen Filmrolle die Zeit totschlägt, der Sonntagskicker, der den Pokal in seinem Wohnzimmer schwenkt, Steven Moorer, der ganz allein in der Pause herumsteht und sich ausmalt, wie es wäre, einen Freund zu haben: immer ist ein Fünkchen Hoffnung dabei, es würde Wirklichkeit, ein Hauch von man weiß ja nie. Aber bei meinen Tagträumen war das nie so: Sie waren Luftschlösser und weiter nichts. Warum sollte schließlich jemand die schönste Frau auf der Welt betrügen?
»Hast du gehört, was ich gesagt habe?« fragt Ben.
»Ich bin mir nicht sicher. Kannst dus mir nicht noch mal vorspielen?«
Er guckt mich gereizt an. »Laß den Quatsch. Mir ist es ernst.«
»Nein, das kann nicht dein Ernst sein«, sage ich. »Du veralberst mich.« Ich schlucke: Ich fürchte, gleich gebe ich alles preis; und auch wenn mir plötzlich der glückliche Zeitpunkt in den Blick schwebt, wo das genau das Richtige sein könnte, jetzt ist er nicht. »Was willst du damit sagen, du hast eine Affäre?«
»Ich hatte eine. Ich denke dran, sie abzubrechen.«
»Was gibt’s da nachzudenken?«
Er wirbelt herum und tritt mit der Außenkante seines rechten Fußes einen Kiesel vom Weg. Ben war schon immer der bessere Fußballer als ich; in Zielgerader Flanke streift der Kiesel Brian Flans Grabstein und zerkratzt die Worte »liebende Frau Doris«.
»Jetzt guck, was du gemacht hast«, sage ich. Aber Ben macht weiter auf trotziger Dreijähriger und stapft allein voraus.
»Wer ist es?« frage ich und versuche in meinem Kopf das Bild einer schöneren Frau als Alice entstehen zu lassen, aber es gelingt mir nicht: Immer legt sich das von Alice darüber.
»Niemand, den du kennst«, sagt er, ohne sich umzudrehen.
Mir fällt seine Eingangsfrage wieder ein. Wie ernst ist es dir mit Dina ? Wer kann Ernsthaftigkeit schon ermessen, und doch war ich drauf und dran, das Lineal aus der Schublade zu holen, ließ es aber schnell wieder fallen. Das langsame, vorsichtige Wachsen meiner Gefühle für Dina wird eben immer wieder von der plötzlichen Alice-Springflut überschwemmt.
»Und was hat das mit mir und Dina zu tun?« frage ich.
Er dreht sich zu mir um. »Sie ist nicht jüdisch.«
Mir schwindelt der Kopf. »Na und?«
»Hör zu«, sagt Ben und stößt einen gewaltigen, ziemlich theatralischen Seufzer aus, »ich weiß, daß du dich nur darüber lustig machst, aber in letzter Zeit habe ich einfach Angst, meinen Glauben zu verlieren.«
»Wie in dem REM-Song >...loosing my religion...«
»Nein! Ich wußte, daß du das sagen würdest. Du bist so berechenbar.«
»Entschuldige«, sage ich und fühle mich ernsthaft beschämt. »Red weiter.«
Er atmet durch seine breite Nase aus. »Die letzten sechs Monate ist dieses Gefühl immer stärker geworden. Ich habe sogar mit Alice darüber gesprochen, ob sie übertritt.«
»Was hat sie gesagt?«
»Daß sie es tun würde, wenn mir wirklich soviel daran liegt. Aber du weißt ja, es dauert zwei Jahre, und wenn sie nicht mit dem Herzen dabei ist, besteht sie die Prüfung wahrscheinlich nicht.«
»Trotzdem, was hat das alles mit mir und Dina...?«
»Na ja. Meine Frau ist nicht jüdisch. Als wir heirateten, hätte ich nie geglaubt, daß das mal ein Problem sein könnte. Aber plötzlich ist es eins. Und dann fingst du mit Dina an. Und wies scheint, ist die Sache ernst.«
» Und...?«
»Na, das bedeutet doch das Ende der jüdischen Jacobys.«
Wow! Der Ausgangspunkt seines Denkens ist so weit weg von allem, wo meins je enden könnte, daß ich mir nicht mal die Mühe mache, zu widersprechen, sondern einfach aus dem Holterdipolter seiner Logik meine Schlüsse ziehe.
»Dann... nehme ich an, daß diese Frau, die du fickst, jüdisch ist?« Er antwortet nicht. »Und... hast du etwa vor, ein Kind mit ihr zu machen, damit er oder sie unsere glorreiche jüdische Dynastie fortsetzt? Wirklich! Sehr religiös, Ben! Oh, wart einen Moment...«, ich schnicke mehrmals mit den Fingern, »...was sagt das eine Gebot, das über Ehebruch? Ich bin sicher, es heißt >Du sollst nicht <.«
»Hör zu...«
»Oder versteckst du deinen kleinen Seitensprung bloß unter einer Ladung religöser Scheiße?«
Meine Wut ist jetzt so groß, daß ich aufpassen muß, daß die jahrelange Alice-Sehnsucht nicht durchschimmert. Und außerdem: Was will ich
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