Ab ins Bett!
ungläubig an. »Und über Alice hat er nichts gesagt?«
»Nein. Warum?«
»Na, sie ist ziemlich fertig im Moment. Dieser jüdische Trip von Ben ist scheint’s ein Riesenproblem. Und du weißt ja, wie Alice ist. Jetzt glaubt sie, es läge an ihr. Sie müßte sich mehr bemühen...«
»Wie denn?«
»Was weiß ich. In die Synagoge gehen. Hebräisch lernen. Jedenfalls denkt sie wohl, es ist ihre Schuld, daß sie nicht jüdisch ist.«
Ich sehe in Dinas zart gerundetes, lebhaftes Gesicht und frage mich, nicht zum ersten Mal, was ich mit Alice will. Und ich bin gar nicht überrascht, als ich plötzlich den kaum zu bremsenden Drang verspüre, ihr die Wahrheit zu sagen. Aber ich glaube, das wäre ein großer Fehler; ganz uneigennützig finde ich das, weil sie es vielleicht ihrer Schwester erzählt, und dann wäre mein Bruder entsetzlich verletzt. Allerdings habe ich auch einen egoistischen Grund: Wenn es jemand Alice erzählt, dann bin ich derjenige, egal wie verletzt mein Bruder ist. Gedankenverloren lasse ich meine Hand unter die Decke zu Dinas Brustwarze wandern.
»Na ja, er hat auch über Mutti und den Beerdigungsgottesdienst und so geredet«, lüge ich, für mein Gefühl sehr überzeugend. »Aber über Alice hat er nichts gesagt.«
Plötzlich umfaßt sie mein Handgelenk, das jetzt zu ihrem Bauchnabel herabgewandert ist, mit eisernem Griff.
»Was ist?« sage ich.
»Gabriel... fünf Minuten plaudern heißt nicht, daß ich von meinen Bauchschmerzen kuriert bin.«
Ich befreie meine Hand und verkrieche mich auf meine Bettseite, allerdings nicht so theatralisch wie vorher, wenigstens drehe ich ihr nicht den Rücken zu.
»Was sagt denn dein Frauenarzt?«
Sie guckt in die andere Richtung. »Daß ich zum Ultraschall kommen soll. Das ist der einzige Weg rauszufinden, ob wirklich was ernstlich nicht stimmt. Aber ich habe noch keinen Termin gemacht.«
»Warum nicht?«
»Weil ich Angst habe.«
Ich spüre, wie mir das Herz schmilzt, streichele ihre Wange, und Dina gräbt sie in meine Hand. Meine wilden Gedanken an Alice wandern in eine Schachtel mit der Aufschrift NICHT ÖFFNEN, und ich bin wieder frei, Dina zu lieben. Denn am meisten liebe ich sie, wenn sie so ist wie jetzt - ihre Verletzlichkeit zeigt — was in letzter Zeit immer öfter vorkommt, seit sie angefangen hat, in meinen Schwächeeingeständnissen nicht mehr bloßes Theater zu sehen. Es ist vielleicht ein banaler Vergleich, aber ich glaube, es hat mit ihrer früheren Ruppigkeit zu tun, daß meine Gefühle so schnell in Zärtlichkeit Umschlägen: Nachdem sie vorher eine Eisenrüstung trug, scheint sie jetzt dringender eine Decke zu brauchen, die ihre Nacktheit schützt, als wäre sie vorher im Bikini herumgelaufen.
»Es ist besser, Bescheid zu wissen«, sage ich.
»Jaah...«
Dinas Brauen treffen sich in der Mitte der Stirn, wodurch ihr Gesicht etwas so Bekümmertes und Flehendes bekommt, daß es mir einen Stich versetzt. Inzwischen weiß ich, daß die Skala von Dinas Augenbrauenaktivitäten weit über das ironische Hochziehen hinausgeht. Sie senken sich, um Interesse zu zeigen, schießen vor Sorge zusammen, hüpfen vor Freude hoch und noch viel mehr: Sie sind zwei Gleichtaktschwimmer auf ihrer Stirn. Viel von der Schönheit in Dinas Gesicht liegt tatsächlich in dieser Beweglichkeit, einer Lebendigkeit, die gern das Risiko eingeht, ab und zu häßlich zu sein, im Gegensatz zu Alice, deren Gesicht konstant schön ist, aber konstant bis zum Punkt von Stillstand.
Draußen knallt eine Autotür zu, und eine Männerstimme schreit.
»Kannst du nicht mit mir kommen?« fragt Dina und guckt und klingt wie jemand, der zu jung ist für solche Probleme.
»Zum Ultraschall... ?«
»Ja.«
Jetzt habe ich Angst: zu drei Vierteln davor, schlechte Nachrichten zu hören, und einem Viertel, die Tabuzone des Femininen zu betreten.
»Ich bin auch mit dir zur Hypnotiseurin gegangen«, sagt sie, meine Beunruhigung spürend.
Das kann man wohl kaum gegeneinander aufwiegen, oder? Erstens war sie deine Freundin, und zweitens brauchtest du ja nicht zu fürchten, irgendwas Schlimmes über mich zu erfahren. Mit welcher Sorte Waage operierst du?
»Na gut«, sage ich. Ich habe meine Gründe.
Sie küßt mich sanft auf die Stirn, greift dann hinter sich und knipst das Licht aus.
»Dina...«, sage ich nach einem Moment Schweigen.
»Ja?«
»Hast du nicht vorhin gefragt, ob du mir einen runterholen sollst...?«
Ich sitze in meinem Schlafzimmer und tippe einen Artikel über Laurie
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