Ab ins Bett!
während der paar Stunden, die ich schlief! Was will sie beweisen? Ich gucke auf den Boden. Die Ratte ist ungefähr vierzig Zentimeter lang, ihr Genick umgedreht, so daß ihr Kopf direkt an der Wirbelsäule hängt, die winzige rote Kerbe in ihrem angegrauten Fell ist das einzige Zeichen von Gewaltanwendung. Sie hat die Augen geschlossen, einen Mundwinkel aber hochgezogen, aus dem ihr langer, spitzer Eckzahn ragt: »Du kannst mir nichts mehr anhaben«, scheint sie höhnisch zu grinsen. Ich frage mich, warum Jezebel mir tote Beute bringt. Na ja, eine lebendige Ratte über längere Strecken im Maul zu tragen ist wahrscheinlich nicht so einfach. Ich hätte keine Lust, es auszuprobieren. Jezebel stößt mit der Pfote sanft gegen die Leiche.
Ich weiß wirklich nicht, ob ich sie aufheben soll — holt man sich bei Ratten nicht Beulenpest oder so was? —, andererseits ist es auch nicht sonderlich angenehm, sie im Schlafzimmer rumliegen zu lassen, also klemme ich ihre Schwanzspitze zwischen Zeigefinger und Daumen und hebe sie hoch, mit dem Gedanken, sie aus dem Hinterfenster zu werfen (auf die Straße gehe ich nicht noch mal, womöglich sieht Schizo-Barry sich dann zu Gegenmaßnahmen genötigt). Als die Ratte mir schlaff von den Fingern runterhängt, haut Jezebel mit der Pfote nach ihr, und sie schwingt nach rechts. Ich halte sie höher, und Jezebel stellt sich auf die Hinterbeine wie ein Känguruh. Eine Weile lasse ich die Ratte in der Luft baumeln. Jezebel dreht den Hals und folgt der Schwingbewegung mit den Augen, wobei das Schwarz in ihren Pupillen das Grün verschluckt. Als ich die Ratte dann noch höher halte, springt Jezebel in die Luft, ist für eine Sekunde auf gleicher Höhe wie mein Gesicht, hat alle Pfoten von sich gestreckt, ehe sie wieder auf dem Boden aufsetzt. Ich will es nicht fassen. Jezebel spielt mit mir! Ich vergesse all meine Ängste davor, auf einem Leichenkarren zu enden, nehme die Ratte in die rechte Hand, renne in die Küche und ziehe alle Schubladen auf.
Ich bin sicher, irgendwo haben wir eine Rolle Bindfaden. Schublade um Schublade bringt aber nur kunterbunten Haushaltsschutt zutage: eine Dose mit Dübeln, fünf leere Videohüllen, einen Berg Plastiktüten, ein Päckchen Schokoladen-Verdauungsriegel, einer ist noch drin, einen Bakeliteierbecher, eine riesige Rolle Klebeband, das Namensschild — Gabriel —, das ich als Kind an meiner Schlafzimmertür hängen hatte, eine Miniflasche Glenfiddich-Whisky, ein Andenken von Nick, eine kaputte elektrische Uhr, einen Bunsenbrenner (wie das?) und ein altes Transistorradio. Ich gebe auf, knalle die Ratte mit dem Rücken auf den Küchentisch und binde ihr das rote Band von der Glenfiddich-Flasche um den von Käferteilen, die nie mehr verdaut werden sollen, aufgedunsenen Bauch. Als ich mit dem Finger auf das Band drücke, damit ich es verknoten kann, sage ich mir, »Warum nicht?«, und mache der Ratte eine wirklich schmucke Schleife.
Jezebel wartet gesittet an der Schlafzimmertür auf mich. Ich zaubere die Ratte hinter meinem Rücken hervor und lasse sie wie die besondere Überraschung, die Daddy seinem kleinen Mädchen von der langen Reise mitgebracht hat, vor ihr hin- und herbaumeln.
Weiu, macht sie interessiert.
Ich lasse das tote Tier auf den Boden runter, wobei Jezebel jede Bewegung mit den Augen verfolgt. Ich knie mich hin und rucke an meinem Ende des Bands. Die Ratte schlingert linkisch auf dem Rücken, die Beine in grotesken Winkeln vom Körper gespreizt: Jezebel haut mit der Pfote nach ihr, dann noch mal. Aber ich ziehe das Band zur Seite, und die Rattenleiche vollführt erstaunliche Ausweich- und Täuschungsmanöver, scheint plötzlich Gelenke zu haben, wo vorher keine waren. Jezebel springt über sie, will ihr die Flausen austreiben, aber seit sie tot ist, hat die Ratte alle Trümpfe in der Hand. Sogar fliegen kann sie jetzt, und Jezebel guckt eine Weile verdutzt, aber animiert zu, wie sie sich in die Luft erhebt und da schwebt wie im Nagetierhimmel, ehe sie wieder nach ihr springt.
Zwanzig Minuten spielen wir so, und als die frühen Frühmorgenstunden später werden, sind Katze, Mensch und Ratte in vollkommener Harmonie. Dann geht Jezebel plötzlich gelangweilt und müde von dem herumwirbelnden Kadaver weg, und ich fange an, die Ratte mit dem überschüssigen Band zu umwickeln, sie für ihre letzte Ruhestätte im Mülleimer mit dem Schwingaufsatz zu mumifizieren. Aber plötzlich erstarrt meine Hand, und ich traue meinen Augen nicht: Jezebel
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