Ab ins Bett!
jede, buchstäblich jede Nacht-davor das gleiche Lied. Barmitzvah? Kein Auge zugetan. Abschlußprüfungen? Acht Stunden Kampf mit den Kissen. Als ich beim Wohltätigkeitsspiel zwischen der Fußballmannschaft von Over The Line und einem Exprofi-Team als Linksaußen spielte? Vier mal gewichst und zwei Ovomaltine. Bei jedem bedeutenden Ereignis in meinem Leben bin ich also mit nur ungefähr vierzig Prozent angetreten.
Morgen gehe ich mit Dina aus. Sie hat ja gesagt. Jetzt bin ich mir nicht mal sicher, ob ich mich darüber freuen soll. Wäre es ein Nein gewesen, hätte ich vielleicht wenigstens die Chance gehabt, wegzudämmern.
Sie selbst war am Telefon, Gott sei Dank.
»Ja?«
»Dina? Hallo, hier ist Gabriel.«
»Gab...? Ach ja, Bens Bruder. Hallo. Tut mir leid, die beiden sind im Moment nicht da, mußten zum Arzt...«
»Eigentlich wollte ich auch dich sprechen.«
»Mich?«
»Jaah. Hör mal, ich dachte, vielleicht... «
Die uralte Leier, oder? Der Kerl nervös und aufgeregt und weiß nicht, was er zu der Frau sagen soll, mit der er was anfangen will. Stundenlanges Üben vor dem Spiegel, sich die Worte im Kopf zurechtlegen, vorsagen und abhören, das ewig gleiche Programm. Der Fakt, daß etwas tief in die kulturelle Landschaft eingebettet ist, erleichtert die Sache aber keine Spur.
»... ich meine, du kannst immer nein sagen, wenn du willst, mir kam nur gerade in den Kopf, vielleicht hättest du ja mal Lust, auf einen Drink auszugehen oder so was.«
Schweigen in der Leitung. Das Ohrensausen des Telefons wurde so gewaltig, daß ich eine Sekunde glaubte, Dina ließe mich am Hörer hängen und legte in der Zwischenzeit James Last auf.
Ich will sie doch bloß zu einem Drink einladen, sage ich mir und frage mich, ob ich auch so nervös wäre, wenn sich das Ganze nicht vor der Alice-Kulisse abspielte, Sie wissen schon, wenn es bloß die übliche Mann-Frau-Kiste wäre.
»Ehmm... warum?« fragte sie nach einiger Zeit.
»Warum?« Warum? Warum? Welche Antwort erwartet sie denn? Weil ich nach dem üblichen kurzen Vorgeplänkel, das andeuten soll, daß ich mehr von dir will, als du vielleicht ahnst, hoffe, zum Schluß meinen Penis in deine Vagina zu stecken. »Ich dachte halt, wir könnten uns ein bißchen nett unterhalten. Was du neulich gesagt hast, hat mir wirklich gefallen - das über meine Schlaflosigkeit.«
»Es hat dir gefallen?« fragte Dina ober-ungläubig. Das scheint so ihre Art zu sein, daß sie dauernd alles anzweifeln muß. Möglicherweise hat sie das ja in Amerika aufgeschnappt. Jedenfalls wirkt es gleichzeitig aggressiv und defensiv, falls das möglich ist.
»Jaah«, sagte ich ziemlich matt und mühte mich, ein bißchen »na, wenn dir nicht danach ist...«-Müdigkeit in meine Stimme zu legen. Funktioniert immer.
»Offen gesagt habe ich wirklich keine Lust, was trinken zu gehen mit dir«, sagte sie kalt.
»Oh. Na gut.« Zwei Gefühle übermannten mich: tiefe, eiskalte Erniedrigung und die überwältigende Lust zu schreien: »Aber ich bin brillant!!!« Ich holte tief Luft für ein kurzes Tschüß.
»Gestern abend hab ich mich ziemlich zugetrunken mit Ben und Alice. Ich glaub, ich mach lieber mal ’ne kleine Alkoholpause.«
Rettungsanker in Sicht! Fantastisch: Ich wollte sowieso in kein Pub gehen, ich hasse Pubs. Aber ein anderer Vorschlag fiel mir nicht ein. Das ganze Aufgebot unserer modernen Freizeitkultur rollte vor meinen Augen auf einem winzigen Notizblock ab. Was gab es im Grunde schon? Vielleicht... vier Grundaktivitäten? Drei, rechnet man Rollerblading nicht mit.
»Ehmmm... hättest du Lust auf Kino?«
»Um was zu sehen?« Sie machte es mir wirklich nicht leicht.
»Uh... im Phoenix läuft Henry: Portrait of a Serial Killer noch mal an.
»Nein.«
»Du hast völlig recht. Ich weiß selbst nicht, warum ich das vorgeschlagen habe.« Dann kam mir eine Idee. »Am Samstag spielen die Queens Park Rangers gegen Barnsley.«
»Und...?«
»Stimmt, du machst dir ja nichts aus Fußball, oder?«
Sie schwieg eine Weile. »Na ja... eigentlich nicht. Aber Ben und Alice reden offen gesagt die ganze Zeit darüber. Deshalb hätte ich eigentlich nichts dagegen, mir mal ein Spiel anzugucken. Vielleicht fühle ich mich dann nicht mehr so ausgeschlossen, wenn sie über Matthew Le Mesurier losschwadronieren.«
»Le Tissier.«
»Na, egal wie.«
»... also... hast du Lust hinzugehen.«
»Klar.«
Das gab mir den Rest, wirklich. Ihr »klar« war so niederschmetternd geschäftsmäßig, paßte so genau zu der
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