Ab ins Bett!
spöttisch.
Im Auto auf dem Weg zum Spiel sage ich, »Es tut mir leid wegen vorhin. Ich wollte nicht andeuten, daß du dich umziehen sollst. Ist doch ganz gleich, was man anhat.«
»Schon gut«, sagt sie und starrt geradeaus durch die Windschutzscheibe. Das eine Atom entspannter Atmosphäre, das zwischen uns entstanden war, scheint seine Halbwertzeit hinter sich zu haben.
»Wie spät ist es?« frage ich.
Sie guckt auf die silbernen Pfeilspitzen ihrer klobigen Altmänneruhr. »Viertel nach.«
Immer noch fünfundvierzig Minuten bis zum Spiel, wo wenigstens der Fußball die Stille ausfüllen wird.
»Kannst du mich nicht noch mal fragen?« sagt sie kalt.
»Wie bitte?«
»Das war das dritte Mal, daß du mich gefragt hast.«
»Oh, entschuldige. Es ist bloß... ich bin halt gern rechtzeitig da, mindestens eine Viertelstunde, bevor das Spiel losgeht. Ich will mich in Ruhe hinsetzen können, das Programm lesen, mich einstimmen — du weißt schon.«
»Hast du keine Uhr?«
»Nein. Ich verliere sie bloß. Vielleicht weil Uhren mir etwas sagen, was ich nicht wissen will.«
Sie macht eine Dreivierteldrehung zu mir hin, ihre linke Augenbraue in meine Richtung hochgezogen, wie der ausgestreckte Daumen auf einem Mit diesem Idioten habe ich mich eingelassen- T-Shirt.
»Die Zeit?« fragt sie mit genau dem Grad Ungläubigkeit, das an Verachtung grenzt.
»Die Tatsache, daß sie verstreicht«, sage ich und merke sofort, daß dieser »tja, ich bin eben ein mystischer Typ, rede gern in Rätseln«-Vorstoß keinen Eindruck macht. Ahhmm: Am Haaransatz ist der schwarze Nachwuchs in ihrem gefärbten Blond zu sehen. Ich versuche es mit einem anderen Kurs: »Hast du Lust auf Musik?«
»Wenn du willst.«
Eine Hand am Steuer, beuge ich mich hinab und wühle in dem Kassetten-Morast unter dem Fahrersitz; dabei drücke ich versehentlich aufs Gaspedal, und der Dolomite heult auf, aber da er der Dolomite ist, rast er glücklicherweise nicht los. Ich fische eine Kassette heraus und gucke darauf, versuche gleichzeitig die Straße im Auge zu behalten. Wie immer steht kein Titel auf dem weißen Aufkleber. Genauer: Es ist gar kein weißer Aufkleber da, alle meine Kassetten bestehen hartnäckig auf ihrer Anonymität, verweigern es, sich in irgendeine Schublade stecken zu lassen. Wenn ich beim Fahren nach einer bestimmten suche, bin ich gezwungen, sie einem langwierigen Testprogramm zu unterziehen. Ich schiebe eine nach der anderen in den Schlitz und werfe sie dann wieder unter den Sitz — na, ich sage, eine nach der anderen: Normalerweise ist es bloß eine, dann eine andere, dann, wenn ich die nächste aufhebe, stellt sich heraus, daß es wieder die erste ist, und die nächste ist dann normalerweise auch wieder die erste. Das heißt, ich habe keine Ahnung, welche ich gerade einschiebe. Es könnte alles sein. Ich hole tief Luft.
»We’ve only just begun
To live;
White lace and promises...«
Ah. Mein Finger lungert über der brutalen Eject-Taste. Ich sehe zu Dina hin. Sie sieht mich an - alle beide Brauen hochgezogen.
»Bist also kein Carpenters-Fan?«
»Ähmm... nein. Korrigiere mich, falls ich irre, aber sind die nicht der letzte Schrott?«
Na, das war unnötig. Ich denke nicht daran, auf diese Schiene einzusteigen. Ich weiß, daß ich das gern tue — Leuten nach dem Munde reden, bis eine Stimme in meinem Kopf »Schnurr-schnurr!« zu säuseln anfängt —, aber alles hat seine Grenzen.
»Nein, sind sie nicht. Ich meine, natürlich sind sie irgendwie altmodisch, aber Karen - sie hatte eine Stimme wie ein Engel. Warte, hör mal...«
»Before the rising sun...«
»Hübsch.«
»Ist es auch. Im Ernst. Sie hat diesen herrlichen Riß in der Stimme, es ist wirklich... also... hör dir einfach dies Stück an...« Ich drücke auf die Schnellauftaste. Karens Stimme beschleunigt zu einem Roboter-Jodeln, »...am Schluß von dem Song kannst du es ganz deutlich hören, wie ihre Stimme förmlich... bricht.«
Dina guckt wieder aus dem Fenster. Ich drücke fester auf die Schnellauftaste.
»fwwwomgggopoooomgggggg...« (Ich lasse die Taste los) »... only just beguuuuuuuhuuuu... «
»Da! Hörst du es?«, sage ich.
»Karen Carpenters herrlicher Schlitz«, sagt Dina, immer noch aus dem Fenster guckend.
»Ja«, sage ich und merke, wie ich rot werde - ob vor Überraschung, daß Dina plötzlich mit so einer frechen sexuellen Anspielung um sich wirft, oder aus Empörung darüber, daß mein armer magersüchtiger Engel so entweiht wird, weiß ich
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