Ab ins Bett!
ungut«, sage ich, ehe es zu spät ist.
»Na na!« macht er und mustert mich mißtrauisch, so als wollte er sagen: Vorsicht: Wenn Sie nicht die Person sind, für die ich sie mental-mäßig gehalten habe, dann sind Sie vielleicht auch nicht die Person, für die ich Sie grüneflagge-mäßig hielt.
Bei Ben und Alice zu Hause angekommen, sagt Alice etwas typisch Alicesches durch das Zickzack ihres Lächelns.
»Wenn Sie die beiden schon den ganzen Weg hergebracht haben, dann kommen Sie doch auf eine Tasse Tee herein.«
Da sitzen wir also in dem makellosen Wohnzimmer, mitsamt dem Grüne Flagge-Mann. Wie ein sich besonders klecksig über den Mittelknick eines DINA4-Bogens ausbreitender Rorschachtest-Tintenklecks hockt er auf Bens und Alices blütenweißem Sofa. Indem ich Alice mit den Augen signalisierte, daß es einen guten Grund dafür gibt, ist es mir zum Glück gelungen, sie dem Grünen Flagger als »Dina« vorzustellen, falls man bei dem verwirrten, leicht verstörten Blick von ihr und dem haßerfüllten Dinas von gelingen reden kann.
Der Grüne Flagger braucht zwei oder drei Millennien, seinen Tee zu trinken. Jedenfalls scheint hier irgendwas vorzugehen, das alle physikalischen Gesetze auf den Kopf stellt: Jedesmal, wenn er einen Schluck trinkt, überprüfe ich den Rand seiner Tasse und, trotz des unüberhörbaren endlosen Glucksens und Schlurfens, sinkt der Flüssigkeitspegel keinen Millimeter. Obwohl Alice ihm Kaffee, Mineralwasser, Orangensaft und sogar, wenn ich richtig gehört habe, verdammtes Aqua Libra anbot, bestand der Grüne Flagger, natürlich, auf Tee. Ich bin mir nicht sicher, ob es der arbeitenden Klasse überhaupt möglich ist, irgendein anderes Getränk zu konsumieren, denn offenbar ist es ein unverrückbarer Teil des Gesellschaftskontrakts, den sie mit uns Bourgeoisen abgeschlossen haben, daß wir ihnen endlose Tassen von dem Zeug machen müssen, wenn sie irgendwas in unseren Häusern reparieren. Ich habe kein Problem damit; nicht mal, daß mir die Zuckervorräte ausgehen, stört mich, sondern bloß, daß man sich bei jedem Anbieten jeder
Tasse durch das schreckliche neckische Tee-Geplänkel hindurchlächeln muß: »Tee? — Tee? Hab ich etwa heut Geburtstag?! Na, solange er heiß und naß ist! Dann setzen Sie mal den Kessel auf, glaub nicht, daß er Ihnen steht« etc. etc. Der Grüne Flagger begnügte sich immerhin mit »Dacht schon, Sie würden mir nie einen anbieten!« und beließ es Gott sei Dank dabei.
Beklommenes Schweigen. Glauben Sie mir, fast so, als wär ein Grüne Flagge-Mann oder so was im Raum. Plötzlich grinst der Flagger; der Tee, fällt mir auf, hat den Schmier von seinen Zähnen gewaschen, und mit seinem Gegrinse sieht er jetzt wie ein schlecht geschminkter Black and White Minstrel aus. Ich glaube, ich weiß, was als nächstes kommt.
»Die beiden da, was«, sagt er nickend und zwinkernd — eine Sache, die nur ein wahrer Plebejer richtig synchron schafft. »Ha!« Er schüttelt den Kopf. »Die beiden da!« Etwas genau in der Richtung hatte ich erwartet. »Der Lauf aller wahren Liebe, was?«
Ben und Alice wechseln Blicke.
»Der Lauf...?« fragt Ben und lächelt ermunternd, sein Ton ganz höfliches Interesse; nur winzig leicht klingt seine Erwartung durch, daß die Antwort eine bekloppte sein wird.
»Lief wohl nie so ganz geschmeidig, was? Nicht wie bei ’nem...«, sagt er und kratzt sich nachdenklich am Schnurrbart, »...Lexus GS400.«
»Ich kann nicht ganz folgen«, sagt Alice.
»Er meint bloß....«, sage ich und merke dann, daß ich den Satz begonnen habe ohne die geringste Ahnung, wie ich ihn beenden will. »Ha-ha!« pruste ich verzweifelt.
»Na, wies scheint hatten die beiden Turteltäubchen ’ne kleine Meinungsverschiedenheit. Merkt man Ihnen noch an, was?«
»Ahhmm... «
»Aber wollen wir doch hoffen, daß deswegen nicht der große Tag ins Wasser fällt!«
Sie kennen das doch, wenn in den Boulevardblättern etwas in der Richtung steht wie »Prinz Charles oder sonstwer scherzte...«., und dann folgt irgendwas, was streng genommen gar kein Scherz ist, höchstens vielleicht als onkelhafter Spruch durchgehen könnte. Genauso scherzt der Grüne Flagge-Mann.
Ben beugt sich in seinem Stuhl vor. »Der große Tag?«
»Der große Tag, wenn wir das Auto aus der Werkstatt abholen!« sage ich verzweifelt und weiß genau, daß es die Katastrophe bloß verzögert.
»Neeeh«, ruft er und guckt mich an, als hätte ich sie nicht alle. »Die Hochzeit!«
Die Stille im Raum
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