Ab ins Bett!
Ängsten gepeinigten Soziologiestudenten, der verzweifelt versucht, tiefsinnig und analytisch zu klingen. Ein bißchen wie Hamlet im Grunde.
»Ich würde meinen, mit psychiatrischer Hilfe wäre dir am besten gedient.«
»Ha!« sagt Nick. Er sagt tatsächlich »Ha!«, was natürlich sonst kein Mensch auf der Welt sagt. »Das brauche ich deiner Meinung nach also, was?«
»Du kannst so lange in bedeutungsvollem Ton Fragen stellen, wie du willst, es überzeugt mich trotzdem nicht, daß du im Besitz irgendwelcher tiefer Einsichten bist«, sage ich müde.
»Oh, die hat er aber«, höre ich eine flüsternde weibliche Stimme, die ich nicht kenne. Ich gucke hoch. Vor mir steht eine dünne, olivenhäutige Frau mit leuchtendtürkisen Kontaktlinsen auf den Pupillen, einer langen, C-förmigen Nase, deren Effekt sie offenbar dadurch entgegenzuwirken versucht, daß sie das Kinn in die Luft reckt, was mir einen unverhohlenen Blick in ihre Nasenlöcher erlaubt. Sie trägt enorme Pluderhosen, ein Oberteil, das ohne weiteres als Double von einem Kartoffelsack durchginge, und... Moment mal... ist es die Möglichkeit!, meinen kleinen, spitzen grünen Hut mit dem schwarzafrikanischen Band. Sie guckt mich mit einem allwissenden Gesicht an.
»Fran«, sagt Nick leise. »Gott sei dank, daß du da bist.«
Fran hält ihm die flache Hand hin, ohne mich aus den Augen zu lassen und diesen allwissenden Ausdruck aus ihrem Gesicht zu nehmen. Wessen Hut sie verdammtnochmal trägt, das weiß sie allerdings nicht. Das kann ich Ihnen flüstern.
»Hallo, Fran«, sage ich und strecke meinen Arm aus. »Ich bin Gabriel. Ich habe schon viel von dir gehört.«
Mir immer noch ins Auge starrend — zieht sie dieses Kinderspiel ab Wer lacht zuerst? —, dreht sie ihre Hand um, legt sie auf meine und biegt mir dabei die Finger nach hinten. Sie lächelt wissend — ich bekomme den Eindruck, daß sie das öfter tut - und guckt schließlich von mir weg und Nick an. Er ist aufgestanden.
»Hallo, Nicholas«, sagt sie, und sie umarmen sich, wie Bruder und Schwester. Sie ist solch ein Blatt im Wind und Nick im Vergleich dazu ein solcher Klotz und seine platonische Bärenumarmung so gewaltig, daß Fran eine Sekunde ihre allem Anschein nach dick gepanzerte Fassung verliert und ein bißchen verstört guckt: Entgegen aller Hoffnung, hoffe ich, daß sie jetzt sagt: »...schon gut... danke... jetzt ist genug umarmt... laß mich los. LASS MICH LOS!!« Aber das tut sie nicht. Sie lösen sich voneinander, halten aber weiter Händchen.
»Tut mir leid, daß Nick dich mitten in der Nacht rausgeklingelt hat«, sage ich.
Fran wendet ihren lächelnden Blick von Nick ab und nimmt mich damit in Beschlag. Es entnervt einen, sie anzugucken. Wirklich sonderbar, daß jemand der beinahe seine ganze Selbstdarstellung mittels Augenkontakt betreibt, auch noch Kontaktlinsen trägt, und zu allem Überfluß leuchtendtürkise. Sieht sie die Welt türkis?
»Nicholas weiß, daß er mich jederzeit anrufen kann. Ob per Telefon oder...«, jetzt guckt sie Nick wieder bedeutungsvoll an (ich bin mir nicht sicher, ob sie überhaupt anders gucken kann), »...durch andere Medien.« Sie spricht in ständig gedämpftem Ton, weshalb es für ihre Kehle ein ganz schön harter Brocken sein muß, jedes zweite Wort besonders zu betonen.
»Na gut«, sage ich. Sie gucken sich weiter in die Augen. Gott. Eine ziemlich zähflüssige Angelegenheit, mit Fran zusammenzusein! Dann, ohne daß ein Wort zwischen ihnen gefallen wäre, nickt mein Wohngenosse ihr zu, sie nickt ihm zu, läßt seinen Blick los, seine Hand aber nicht, schwenkt herum und hockt sich vor mich.
»Gabriel. Ich und Nicholas haben ein Weilchen am Telefon geplaudert... sag mal, hältst du es wirklich für eine gute Idee, ihn hierherzubringen?«
Oh, diese Leute. Wenn sie schon so davon überzeugt sind, daß sie auf einer Ebene operieren, zu der all wir anderen keinen Zugang haben, warum kann man dann immer so verdammt genau Voraussagen, was sie als nächstes tun oder von sich geben.
»Ja«, sage ich.
Sie nimmt diesen einsilbigen Hieb ohne mit der Wimper zu zucken hin. Hinter ihr sehe ich den rotgesichtigen Gatten und seine inzwischen vernähte Frau sich zur Ausgangstür hin vorbeischlängeln, wobei er ihr leise gehauchte Worte ins Ohr flüstert, die sie erzittern lassen, Versprechungen, Versprechungen.
»Warum?«
»Weil er sich nackt in der Mülltonne versteckt hat, du dämliche blöde Kuh! Und was geht es dich überhaupt an? Wer zum Arsch
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