Ab ins Bett!
»... die anders denken als Sie.«
Nick lehnt sich selbstzufrieden zurück, mit einem »Schreiben Sie sich das hinter die Ohren«-Ausdruck auf seinem — ohne jeden Zweifel — verrückten Gesicht. Fran, die in unserem kleinen Kreis auf dem Stuhl neben ihm sitzt, drückt ihm die Hand: Er wirft ihr einen Blick zu, einer von dem ich müde annehme, daß man ihn wohl als »dem hab ich Bescheid gestoßen« interpretieren muß.
»Glauben Sie, Mr. Munford, daß einer wie Sie, der nackt durch die Straßen rennt und schreit...« Dr. Prandarjarbash sieht mich an, damit ich sein Gedächtnis auffrische.
»Words for Windows — ich putz Ihnen die Scheibe nicht für Geld, sondern gute Worte!« — helfe ich ihm auf die Sprünge.
»...also, daß so einer bloß ein bißchen anders denkt als ich? Wissen Sie, manchmal denke ich völlig anders als die meisten Menschen.« Er lächelt in sich hinein, offenbar in der Erinnerung an irgendeine ketzerische Meinung von ihm, die irgendwann mal das Einheitsdenken der psychiatrischen Gemeinde Nordlondons erschüttert hat. »Manchmal denke ich sogar komplett anders, als ich meiner eigenen Meinung nach denken sollte. Aber nackt durch die Straßen laufen und >Words for windows< schreien, daran habe ich allerdings noch nie gedacht.«
»Das war meine neue Strategie«, sagt Nick. Er beugt sich wieder vor, aber diesmal unaggressiv, so, als wolle er dem Doktor bloß ein Geheimnis anvertrauen. »Wissen Sie, die meisten Scheibenputzer - die tun es für Geld.«
»Aha, ich verstehe.«
»Aber heute beschloß ich, es für Worte zu tun! Worte sind viel besser als Geld, finden Sie nicht, Doktor?«
»Natürlich.«
»Also putzte ich eine Scheibe, und dann sagte ich«, er macht eine großspurige Geste mit der Hand, »stecken Sie Ihr Kleingeld wieder ein. Erzählen Sie mir etwas über sich. Irgendwas. Oder, ja Mann! Sagen Sie ein Gedicht auf. Oder singen ein Lied!«
Fran lacht darüber, das laute, nach Pappe klingende Lachen der von Grund auf Humorlosen.
»Ich fürchte, Mr. Munford, nicht die Bezahlungsart war das Problem, sondern die Tatsache, daß Sie nackt waren.«
Nick guckt ihn so erstaunt an, als sei ihm dieser Gedanke noch nie gekommen.
»Oh. Na ja... es war halt brütendheiß.«
Was natürlich nicht stimmt. Es war ungefähr fünf Grad Celsius, aber vielleicht wirkt Verrücktheit ja wie eine Art Heizkessel fürs Blut. Dr. Prandarjarbash, dafür bezahlt, Signale zu erkennen, stürzt sich auf Nicks Überraschung. »Ihnen ist doch klar, daß die Polizei deshalb kam? Weil Sie nackt waren?«
Nick starrt ihn an, dann Fran, Dina und mich. Dann lacht er.
»Nein! Nein«, ruft er und schüttelt den Kopf. »Deshalb sind die nicht gekommen. Glauben Sie das etwa im Ernst?« Er lacht wieder, legt diesmal eine dicke Spur von Weiser-alter-Mann-spricht-zur-Jugend hinein. »Nein.« Noch ein Vorbeugen. »Die kamen, um die Leute daran zu hindern , mit mir zu reden. «
Er lehnt sich wieder zurück, aber ehe seine Miene wieder ihren Triumphzug antreten kann, sagt Dr. Prandarjarbash: »Und weshalb haben Sie dann nicht einfach mit denen gesprochen?«
Nick schiefes Lächeln erstarrt. »Huh?«
»Der Polizei. Warum haben Sie nicht mit ihr gesprochen? Die sind auch Menschen. Warum sind Sie weggelaufen und haben sich in der Mülltonne versteckt?«
Jetzt guckt Nick ihn wirklich ängstlich an. »Welcher Mülltonne?«
»Wissen Sie denn nicht mehr, daß Sie sich in einer Mülltonne verkrochen haben?«
Mit völlig aufgelöstem Gesicht sieht Nick jetzt Fran an. »Was faselt der da von in Mülltonnen verkriechen?«
»Ist schon gut«, sagt Fran, schnappt sich seinen Kopf und zieht ihn an ihren im Kartoffelsack steckenden Busen. »Ganz ruhig.«
Nick schließt die Augen. Er zittert. Fran blitzt Dr. Prandarjarbash haßerfüllt an, das Zahnrad, das ihren Blick einstellt, hat eine Volldrehung von Ich verstehe alles zu Du bist der Feind gemacht.
»Also gut«, sagt der Psychiater, steckt sich seinen Stift wieder in die Brusttasche und dreht das Clipboard um, so daß es mit der glänzenden schwarzen Rückseite nach oben auf seinen Knien liegt. »Lassen wir es vorläufig dabei bewenden.« Er steht auf und geht hinüber zu dem weißen Metalltisch mit dem Sammelsurium von Flaschen darauf, der, solange der zugezogene Vorhang die Ecke hier zu einem kleinen Raum machte, das einzige Möbel gewesen war. Der Doktor legt das Clipboard auf dem Tisch ab und dreht sich wieder zu uns um: Erst jetzt merke ich, wie klein Dr. Prandarjarbash
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